Stefan Muenz: Babelfische im Internet - oder wird eh alles Englisch?

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Liebe Forumer,

angesichts der zahllosen, meist lieblos hingerotzten Fragen, mit denen dieses Forum wieder mal ueberhaeuft wird derzeit, und der oft nicht sonderlich fundierten Antworten, mit denen die betreffenden Threads dann zusaetzlich aufgeblaeht werden, steht mir (und ich glaube auch anderen) mal wieder der Sinn nach mehr Niveau ;-)

Wir befinden uns in einem weltweiten Medium, das zweifellos dabei ist, unsere Erde schneller umzukrempeln als alle technischen Erfindungen vor ihm. Die Ueberbrueckung von Distanzen schrumpft auf den Augenblick zusammen, den es dauert, auf die Maustaste zu klicken. Dadurch kommt sich vieles nahe und durcheinander, was ehemals sauber oder zumindest viel klarer voneinander getrennt war. Menschen, ihre Lebensweisen, Ansichten und Vorstellungen, aber auch ihre Sprachen. Um letztere soll es in diesem Thread mal gehen.

Es gibt eine interessante neue Portalseite fuer Links zu allem, was mit Woerterbuechern, Lexika, automatischen Uebersetzungen und linguistischen Spezialanwendungen fuer bestimmte Sprachen zu tun hat: http://www.yourdictionary.com/. Wenn man von dort aus auf Entdeckungsreise geht, kann man staunend erleben, wie viele Woerterbuecher es gibt im Netz, die meisten davon mittlerweile durchsuchbar.

Wir haben viele Sprachen auf der Welt. Diese unterschiedlichen Sprachen konnten entstehen, weil Voelker, Staemme, Klans usw. ohne oder nur mit sehr wenig Kontakt zu anderen Menschen ihre Kultur und ihren Alltag ueber Generationen hinweg entwickeln konnten. Es gibt ja unter Linguisten die Theorie, dass alle Sprachen urspruenglich von einer Sprache abstammen. Aber durch vergleichende Sprachwissenschaft ist das wohl kaum beweisbar. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Sprachen, auch wenn es viele Gruppen und Familien gibt.

Noch spannender als die Frage, ob es irgendwann in den Fruehzeiten des homo sapiens eine Einheitssprache gab, finde ich allerdings die Frage, ob die Menschheit auf eine solche Einheitssprache wieder zusteuert, und ob ein Medium wie das Internet diese Tendenz beguenstigt.

Beobachtbar ist zumindest, dass das Englische sich immer weiter von den uebrigen "Weltsprachen" Franzoesisch, Spanisch und Portugiesisch abhebt. Chinesisch hat zwar moeglicherweise die meisten Sprecher, aber es hat deshalb trotzdem keine Bedeutung als Weltsprache, denn eine Weltsprache ist eine Sprache, die als Verstaendigungssprache von ganz unterschiedlichen Muttersprachlern genutzt wird. Immer mehr Menschen aber, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen und miteinander zu tun bekommen, sei es beruflich, auf Reisen, oder eben durch das Internet, einigen sich letztendlich auf Englisch als Verstaendigungssprache. Auch die Haeufigkeit, mit der ein Normaldeutscher etwa mit dem Englischen konfrontiert wird, duerfte sich im Laufe der letzten dreissig Jahre vervielfacht haben. War die Ausbildung von Weltsprachen bis vor wenigen Jahrzehnten noch durch die europaeische Kolonialisierung der uebrigen Kontinente gesteuert, so werden heute zunehmend die Einfluesse des global business, aber auch der internationalen Wissenschaft und Technik massgeblich. Und auf all diesen Ebenen hat sich Englisch laengst durchgesetzt.

Meine Fragen, die ich nach diesen Bemerkungen mal zur Diskussion in den Raum werfen will, sind folgende:

Wird Englisch den Planeten erobern und andere Sprachen in den Rang von Lokal- und Zweitsprachen zurueckdraengen? Ist es z.B. vorstellbar, dass Englisch in 50 Jahren weltweit in fast allen Laendern als Amtssprache eingefuehrt sein wird, waehrend die herkoemmlichen Sprachen dieser Laender etwa auf die Bedeutung zuruecksinken, die bei uns die Dialekte haben (liebevoll gepflegt, aber nicht wirklich wichtig)?

Ist es wuenschenswert, dass eine Sprache alle anderen verdraengt? Ist damit nicht auch eine Verarmung des Sagbaren verbunden? Wird eine Sprache, die nur zwei, drei Wortvarianten fuer "Schnee" kennt, in einem arktischen Land nicht fuer schreckliche Sprachverarmung sorgen? Oder geht das gar nicht? Koennte es nicht vielmehr so kommen, dass sich zwar eine Sprache durchsetzt, diese aber lokal extrem "koloriert" wird, so dass Sprachvarianten entstehen, die doch schon fast wieder eigene Sprachen sind?

Und welche Rolle spielt eigentlich der Einfluss der geschriebenen Sprache? Durch das Internet ist der Anteil schriftlicher Kommunikation zwischen Menschen extrem angestiegen. Neue, sprachrelevante Bausteine wie Smileys und Emoticons sind die sichtbaren Folgen. Koennte es sein, dass die Menschen auch dahin steuern, immer weniger miteinander zu reden und sich immer mehr zu schreiben? Mit den damit verbundenen sprachlichen Folgen wie mehr Symbolzeichen, Abkuerzungen, formalen Elementen? So dass am Ende die Leute mehr XML reden als Englisch?

Wie stark veraendert das Internet die Sprachenwelt? Nicht mehr als die alte Welt der Zeitungen und Fernsehsender? Oder mehr? Einerseits sind die anderssprachigen Informationen im Web viel naeher als in jedem anderen Medium. Andererseits zeigen neuere Untersuchungen, dass immer weniger Leute im Web wirklich in die Ferne schweifen, sondern mehr und mehr lokale Angebote ihrer normalen Umgebung nutzen.

Bin gespannt, was euch einfaellt ;-)

viele Gruesse
  Stefan Muenz