Hallo Stefan,
ich antworte jetzt mal bewußt spontan, ohne vorher den gesamten Thread zu lesen (weil das mein Meinungsbild beeinflussen wird) und nehme das Risiko eines inhaltlich redundanten Postings auf mich.
Wird Englisch den Planeten erobern und andere Sprachen in den Rang von Lokal- und Zweitsprachen zurueckdraengen?
Ist es z.B. vorstellbar, dass Englisch in 50 Jahren weltweit in fast allen Laendern als Amtssprache eingefuehrt sein wird,
waehrend die herkoemmlichen Sprachen dieser Laender etwa auf die Bedeutung zuruecksinken, die bei uns die Dialekte haben (liebevoll gepflegt, aber nicht wirklich wichtig)?
Im Prinzip beantwortest Du Deine Frage ja selbst.
Ich sehe nationale Sprachen in Europa in der Tat nicht anders als Dialekte - und nicht zuletzt diese Sprachen sind es, weshalb in Europa die Arbeitskräfte nicht so mobil sind wie in den USA und die Wirtschaft Europas deshalb nicht mit derjenigen in den Staaten mithalten kann.
Diskutieren könnte man alleine über die 50 Jahre - und darüber, ob die sinnvolle Lösung (es wäre eine) sich gegen die nationalistischen Eifersüchteleien der Staaten durchsetzen werden (wozu das Internet eine Möglichkeit bietet, die es vor ihm m. E. nicht gab).
Daß bei (mehrsprachig abgefaßten) internationalen politischen Verträgen (meines Wissens) weiterhin die französische Sprache (mit den präziseren Formulierungen) als verbindlich gilt, bedeutet für mich, daß der Prozeß zum Ausdeuten einer Weltsprache noch längst nicht abgeschlossen ist. Die Wissenschaftler und das WWW schaffen lediglich einen "De-facto-Standard" ... ;-)
Meine Hoffnung, daß Esperanto noch eine Chance bekommen wird, ist nicht sehr groß.
Ist es wuenschenswert, dass eine Sprache alle anderen verdraengt?
Das kommt darauf an, was man erreichen will. ;-)
Ist damit nicht auch eine Verarmung des Sagbaren verbunden?
Wird eine Sprache, die nur zwei, drei Wortvarianten fuer "Schnee" kennt, in einem arktischen Land nicht fuer schreckliche Sprachverarmung sorgen?
Ja - aber: Wäre das so viel wichtiger als die erzielbaren Vorteile? Lokalkolorit in allen Ehren - *ich* könnte darauf verzichten.
Oder geht das gar nicht? Koennte es nicht vielmehr so kommen, dass sich zwar eine Sprache durchsetzt, diese aber lokal extrem "koloriert" wird, so dass Sprachvarianten entstehen, die doch schon fast wieder eigene Sprachen sind?
So etwa funktioniert Deutsch ja ebenfalls - auch die Amtssprache ist "am Schalter" sicherlich koloriert, und im Schriftverkehr werden sich einzelne Anfälle von Lokalkolorit kaum vermeiden lassen, da es schließlich Menschen sind, welche diese Schriftstücke verfassen. (Leider ... ;-) Was nicht bedeutet, daß sich Deutsch als Amtssprache in Deutschland nicht durchgesetzt hätte - ganz scharfe Abgrenzungen gibt es in der Realität praktisch nie.
Und welche Rolle spielt eigentlich der Einfluss der geschriebenen Sprache?
Durch das Internet ist der Anteil schriftlicher Kommunikation zwischen Menschen extrem angestiegen.
Das mag allerdings eine temporäre Erscheinung sein.
Laß mal die Spracherkennungssoftware allgemein verfügbar sein (auch in E-Mail-Clients), dann wird sich das bestimmt ändern.
Neue, sprachrelevante Bausteine wie Smileys und Emoticons sind die sichtbaren Folgen.
Koennte es sein, dass die Menschen auch dahin steuern, immer weniger miteinander zu reden und sich immer mehr zu schreiben?
Ich denke, die Menschen werden das immer an der gerade verfügbaren Technologie festmachen.
Der wesentliche Unterschied zwischen Reden und Schreiben ist bezogen auf den Informationstraksfer die zeitliche Synchronität beim Reden, was angesichts der heutigen Technologie nicht elegant bzw. preisgünstig möglich ist.
Denke mal ein paar Jahre weiter, in eine Zeit, in der es Handies mit hinreichend großen Bildschirmen zu einem vernachlässoigbaren Preis gibt - dann wird Reden wieder "in" sein.
Aber auch dann wird es Leute geben, die gerne selbst darüber bestimmen wollen, wann sie mit wem kommunizieren wollen - das wird dann über den Nachfolger des Briefs bzw. der E-Mail gehen, welcher die Möglichkeiten der Filmübertragung und des Anrufbeantworters miteinander verbindet (so wie es heute HTML-E-Mails gibt, wird es morgen multimediale E-Mails geben).
Mit den damit verbundenen sprachlichen Folgen wie mehr Symbolzeichen, Abkuerzungen, formalen Elementen?
Naja, irgendwie muß man ja kompensieren, daß es über E-Mail (bzw. dieses Forum) keine Gebärdensprache gibt. (<klopf ans hirn> etc.)
Aber ... siehe oben. Es wird wieder mehr "Sehen" geben, wenn die Bandbreiten da sind.
So dass am Ende die Leute mehr XML reden als Englisch?
Ich denke, wir sehen seit ca. 5-10 Jahren die gegenläufige Tendenz, nämlich daß die Hersteller endlich anfangen, den Rechner dem Menschen anzupassen statt umgekehrt. (Das war schon vor 15 Jahren das Thema meiner - später abgebrochenen - Promotion.) Das WWW mit seinen Angeboten ist ein solcher Meilenstein, ebenso wie es das GUI war.
Das ist auch unvermeidbar, denn es ist billiger, vernünftige User Interfaces zu bauen als die gesamten Menscheit Informatik studieren zu lassen. Und die Industrie ist es ihren Aktionären schuldig, nach preiswerten Möglichkeiten zu suchen, um viele, viele neue Kunden zu erreichen.
Der Kapitalismus repariert nicht alles in beliebig kurzer Zeit (M$), aber erfahrungsgemäß setzen sich gute Ideen auf die Dauer durch, wenn man sie vernünftig vermarktet.
Wie stark veraendert das Internet die Sprachenwelt? Nicht mehr als die alte Welt der Zeitungen und Fernsehsender? Oder mehr?
Das, was Du als "das Internet" beschreibst, sind ganz viele verschiedene Kommunikationsformen. E-Mail und Chat haben m. E. sehr wenig miteinander zu tun, weil das eine asynchron und das andere asynchron abläuft - beide leben aber (derzeit) in einem eingeengten Universum, welches ihnen nur die Tastatur als Eingabemedium zur Verfügung stellt.
Deine Beobachtungen beziehen sich also m. E. auf dieses Eingabemedium - und dürften weder für E-Mail via Spracheingabe Gültigkeit haben noch für Chat mit der Technologie eines Bildtelefons.
Einerseits sind die anderssprachigen Informationen im Web viel naeher als in jedem anderen Medium.
Was aber das Bildungssystem in den entsprechenden Ländern (noch) nicht direkt beeinflußt.
Ich denke, es wird zuerst Anstrengungen der Regierungen geben, automatische Sprachübersetzer mit Steuergeldern zu entwickeln (was ich für den falschen Ansatz halte - bevor das funktionieren würde, mußte man alle Sprachen einer Reform unterziehen, welche die aktuelle Rechtschreibreform an Umfang bei weitem übertreffen und welche die Individualität der Sprachen stark beeinträchtigen würde) und erst später Englisch als Pflichtsprache in der Schule eingeführt werden ("Computerkinder").
Andererseits zeigen neuere Untersuchungen, dass immer weniger Leute im Web wirklich in die Ferne schweifen, sondern mehr und mehr lokale Angebote ihrer normalen Umgebung nutzen.
Das liegt aber (auch) daran, daß es andere Benutzergruppen gibt, welche zahlenmäßig schneller wachsen als die ursprüngliche Web-Klientel.
Die Freaks der ersten Stunde waren/sind an Themen interessiert, welche aufgrund ihrer Natur weltweit angesiedelt sind (bezugen auf dieses Forum hier sind das z. B. die RFCs).
Dafür liest man gerne die Originaldokumentation, weil die Information dort unverfälscht vorliegt und der Aufwand einer Übersetzung in <n> Sprachen die kompetentesten Bearbeiter, nämlich die Entwickler selbst, davon abhalten würde, weiter zu entwickeln. (Genau das macht SelfHTML ja so wertvoll: Jemand, der nicht selbst HTML weiterentwickelt, dafür aber gut schreiben kann, bringt dem deutschen Leser eine Materie nahe, und das nicht nur durch Übersetzung, sondern durch didaktischen Aufbau. Das ist ein echter Mehrwert!).
Die "Internet-Benutzer der <n>. Generation", welche (stark vereinfacht) bei Amazon und ihrer Direktbank surfen, verlassen das deutsche Sprachuniversum im WWW aus demselben Grund nicht, aus dem sie die deutschen Landesgrenzen nicht verlassen: Weil sie keinen Anlaß dafür haben.
Anders etwa die "Kiddies", welche Englisch in Kauf nehmen, um z. B. auf internationalen Fan-Seiten ihrer bevorzugten Fernsehserie etc. "am Ball zu sein" - und damit letzten Endes der Weltsprache Englisch einen größeren Dienst erweisen, als sie ahnen ...
Viele Grüße
Michael
P. S.: Ceterum censeo ... WRAP=PHYSICAL.