Swen: Babelfische im Internet - oder wird eh alles Englisch?

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Moin,

da habe ich mich heute hier im Forum so zurückgehalten, habe anderswo das Bruttosozialprodukt gewaltig erhöht und jetzt kommst du mit einer guten Frage. Schönen Dank dafür, dass dieser Freitag jetzt nicht nur produktiv sondern auch anregend wird.

Wir befinden uns in einem weltweiten Medium, das zweifellos dabei ist, unsere Erde schneller umzukrempeln als alle technischen Erfindungen vor ihm. Die Ueberbrueckung von Distanzen schrumpft auf den Augenblick zusammen, den es dauert, auf die Maustaste zu klicken. Dadurch kommt sich vieles nahe und durcheinander, [...]

Das möchte ich bezweifeln. Schon vor einer Woche (?) hatte ich hier auf das (leider völlig überteuerte) Buch "Das viktorianische Internet" von Tom Standage hingewiesen. Er schreibt anekdotenhaft aber ohne sonderlichen Ziefgang über die ersten online-Pioniere: Telegraphen. Vieles von dem, was dem Internet als (nützlichen wie gefährlichen) Möglichenkeiten zugesprochen wird, kannte und konnte der Telegraph auch schon.
Das Internet ist ein Mittel zum Zweck. Und um es zu dem werden zu lassen, was dem Telegraphen nicht vergönnt, nämlich einen Kulturtechnik, bedarf es noch einiges mehr. Nämlich der Möglichkeit, oder besser: der Pflicht, den Umgang mit dem Medium zu lernen. Wie das in der Schule mit dem Lesen funktioniert. Umsonst muss der Internet-zugang (nach dem Lernen) aber nicht sein. Wie in der Schule: Lernmittelfreiheit ja, Bücher und Zeitungen außerhalb der Schule kosten aber Geld.

Im Moment sehe ich bei der Frage Kulturtechnik eher schwarz. Dieser ganze Affentanz um "Schule ans Netz" und "PC in jeder Klasse" ermüdet die Schule anscheinend schon dermaßen, dass nach der Feststellung "ich bin drin" nix mehr passiert. Und wenn, dann verharren sie auf AOL und Bobbele-Niveau: Man schickt sich selbst eine SMS-Nachricht oder schwitzt allein vor Pamela-Anderson-Videos. Beides ist Onanie.

Solange eine Kulturtechnik noch nicht allgemein beherrscht wird, brauche ich mir über den möglichen Fortschritt _mit_ dieser Kulturtechnik nur theoretische Gedanken machen.

Noch spannender als die Frage, ob es irgendwann in den Fruehzeiten des homo sapiens eine Einheitssprache gab, finde ich allerdings die Frage, ob die Menschheit auf eine solche Einheitssprache wieder zusteuert, und ob ein Medium wie das Internet diese Tendenz beguenstigt.

Ganz klar: Nein. Denn die Besucher des Internets - jedenfalls im Moment - nutzen das Internet nicht so, das ein Druck entstünde, die gleiche Sprache zu sprechen (siehe meine Beispiele von eben).

Wird Englisch den Planeten erobern und andere Sprachen in den Rang von Lokal- und Zweitsprachen zurueckdraengen?

Es wäre schon viel gewonnen, wenn Englisch überhaupt als gemeinsame Zweitsprache genutzt werden könnte.

Koennte es nicht vielmehr so kommen, dass sich zwar eine Sprache durchsetzt, diese aber lokal extrem "koloriert" wird, so dass Sprachvarianten entstehen, die doch schon fast wieder eigene Sprachen sind?

Was für ein Aufwand, was für ein Mühe. Und wofür ? Nein der Mensch ist faul - und das ist gut so. Es gibt doch keine Sinn, zunächst die einzelnen Sprachen abschaffen zu wollen, und sie dann als Dialekt wieder einzuführen. Es wäre einfacher, wenn alles gleich so bleiben wie es ist: wir haben unsere _eigenen_ Sprachen, darunter unsere _eigenen_ Dialekte - und wenn es mal nötig ist, bedienen wir uns einer gemeinsamen Sprache.
Additiv statt Alternativ, das wäre die Devise.

Durch das Internet ist der Anteil schriftlicher Kommunikation zwischen Menschen extrem angestiegen.

Das ist quantitativ richtig, aber auch qualitativ ? Ich denke da nur an die Eingangworte deines Postings...

Neue, sprachrelevante Bausteine wie Smileys und Emoticons sind die sichtbaren Folgen.

Das sind doch keine Errungenschaften! Sie sind notwendiger Ersatz, da die meisten Nutzer nie Schreibmaschine gelernt haben und deshalb in kürzere Sätze flüchten. Damit versaubeuteln sie die Breite und Fülle an Ausdrucksfähigkeit, die ihrer Muttersprache ihnen gibt und ersetzen sie durch dünnliche Kürzel. Das mag im Straßenverkehr oder im Chat aus Geschwindigkeitsgründen ja noch Sinn geben, aber hier, in einem Forum, wo niemand gedrängt ist, schnell zu antworten ? Nein, das glaube ich nicht ;-(

So dass am Ende die Leute mehr XML reden als Englisch?

Soviel strukturelle Fähigkeiten traust du den Menschen zu ? Jetzt glaube ich doch, dass du ein Optimist bist.

Andererseits zeigen neuere Untersuchungen, dass immer weniger Leute im Web wirklich in die Ferne schweifen, sondern mehr und mehr lokale Angebote ihrer normalen Umgebung nutzen.

Ganz genau. Und ich finde nicht mal, dass das schädlich wäre. Es zeigt vielen Menschen den praktischen Nutzen. Die Fahrpläne der UBahn in Sydney online lesen zu können ist ja nur begrenzt nützlich. Über das Netz Menschen kennenzulernen, die man sonst nicht kennen gelernt hätte schon eher. Das Forum hier ist ein gute Beispiel dafür.

Wenn die leute alle erstmal einfache Suppen kochen und zufrieden mit dem Ergebnis sind, dann wagen sie sich auch mal an die großen Büffets heran. Anders herum kann es schnell frustend werden.

Swen