Tim Tepaße: Mein kampf

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Hi,

Dann dachte ich, ob die leute die gegen die zensierung von webseiten sind, auch gegen die zensierung solcher bücher sind.

Zensur im Sinne von "verbrennen" ist es ja nicht. Exemplare in den Bibliotheken und im Privatbesitz sind weiterhin vorhanden. Nur ist es indiziert, sprich es darf Minderjährigen nicht einfach zugänglich gemacht werden.

Für fundiertere Informationen siehe diesen Artikel:
http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/einzelth/rechtpub/ns-lit.htm

Und Neuauflagen dieses Buches unterliegen meines Wissens nach einer Art Selbstzensur. Ein komischer Fall:
Der Freistaat Bayern hat nach sich Hitlers Selbstmord als dessen Erbe eingesetzt. Dazu gehört auch das Urheberrecht an "Mein Kampf". Damit verhindert der Freistaat Bayern (legale) Neuauflagen dieses Machwerkes.
(Was mich zu der Frage bringt: Was passiert 2015, wenn das Urheberrecht ausläuft?)

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Zurück zu Deiner Ausgangsfrage:
Hier geht es tatsächlich um Zensur von Webseiten. Zensur im Sinne von "nicht mehr vorhanden", nicht mal mehr in einer abgestuften Version.

(a) Wirklich nicht mehr vorhanden? Nein. Die Webseiten sind nur ein Medium. Nur wenn man diese Webseiten filtert, sie also ausblendet, bleibt das rechtsradikale Gedankengut, der braune Schmutz. Und man wird auf andere Medien ausweichen, E-Mails, verschlüsselte E-mails, passwortgeschützte Newsgroup, Briefpost, whatever.
Auch wenn die Öffentlichkeitswirkung (Werbung) der Webseiten dann nicht mehr vorhanden ist - ich möchte behaupten zu rechtsradikalem Gedankengut kommt man weniger durch solche Webseiten als durch soziale Interaktion, irgendwelche braunen Gruppen, den Kerl aus der zehnten Klasse, der zufällig auch noch Obergruppenirgendwas bei den Skinheads umme Ecke ist, etc.
Ich denke, es wird wenig reale Auswirkungen dadurch geben.

(b) Eine Auswirkungen, die es gibt, ist, daß dem Staat ein gewaltiges Mittel in die Hände fällt, das der Zensur. Wer weiß, was als nächstes ausgeblendet wird? Siehe China, siehe Saudi-Arabien.
Idealistisch: Es hat seinen Grund, daß im Grundgesetz die Grundrechte, die Rechte des individuellen Menschens vor allem anderen stehen (Auch wenn die GG-Artikel rechtlich auf gleicher Stufe stehen). Der "Vertrag" zwischen Menschen und Staat darf nicht in einer Diktatur der Mehrheit enden, deswegen steht das Recht des Einzelnen besonders hoch, in einer Balance zum Schutz dieser Rechte. Die Aufgabe des Staates ist es, diese individuellen Rechte zu schützen und bei diesem Schutz diese Rechte nicht zu stark zu verletzen.
Realistisch: Ja, durch eine Zensur solcher Seiten mit Hasspropaganda würde der Staat natürlich seiner Aufgabe nachkommen. Aber es geht hier weniger um das Ziel, denn mehr um das Werkzeug. Und hier wird dem Staat ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben.
Der einzige Vergleich, der mir dazu einfällt, ist wie immer recht unglücklich:
Polizisten, deren Aufgabe es ist, gewalttätige Ausschreitungen zu bekämpfen, haben als Mittel sich selbst (natürlich im faschistisch anmutenden Köprerpanzer), Schlagstöcke, Wasserwerfer und übertrieben die Handfeuerwaffe. Niemanden würde es einfallen zu diesem Arsenal noch, sagen wir, eine kleine Kernwaffe hinzuzufügen.
(Ok, das war jetzt wirklich unglücklich.)

Also:
Der realistische Nutzen dieser Aktion ist laut (a) recht zweifelhaft, dafür kommt nach (b) die Möglichkeit einer Störung in der Balance zwischen den Grundrechten und dem  Schutz dieser. Ich finde, da ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht mehr gewahrt.
("Gut gemeint ist nicht immer gut.")

Deswegen bin ich gegen Zensur brauner Seiten. Auch wenn ich dabei ein Aschegefühl im Mund habe.

Grüße,
  Tim