Moin,
Wenn der Mord wirklich Mord war (niedere Beweggründe etc.), dann ist die Persönlichkeit und Meinung der Täter nicht tolerabel, ganz egal, was die Medien berichten.
Das ist apodiktisch. Ich halte diesen Denkansatz bei der Beurteilung von Menschen und ihren Taten für ungeeignet. Wenn an Menschen irgendetwas apodiktisch ist, dann ist es die ständige Möglichkeit des Gegenteils.
Und was die Meinung angeht - soweit jemand nur seine Meinung äußert, diesen oder jenen töten zu wollen, seine Handlung aber im Griff hat: ist das schon Anlaß genug für eine Rebooten der Persönlichkeit?
Habe ich sowas auch nur ansatzweise suggeriert?
Ist das eine Voraussetzung, damit ich diese Fragen stellen kann? ;-)
Wo ich aber am meisten Schwierigkeiten habe, Dir zu folgen, ist der "Normbereich", in dessen Richtung jemand geformt werden soll. Das wirft ja immer zugleich die Frage auf, wie genau der Normbereich definiert ist und ab welchem Abstand die Formung zu erfolgen hat.
Der Normbereich ist der Bereich der Nicht-Gewalt-Straftäter.
Und dieser Normbereich ist sehr, sehr groß uind vielfältig. Bootcamps würden nach meiner Einschätzung sehr stark mit dem Problem zu kämpfen haben, dass sie ihre Klienten lediglich in einen bestimmten, wohl immer gleichen Teilbereich des Normbereiches ansiedeln: Es wird den Klienten ja nicht nur eingeimpft "so ist falsch" sondern auch ein "so ist richtig". Und dieses "so ist richtig" ist eben ein weites Feld, in dem sich der heranwachsende Mensch nach und nach einen Platz sucht. Er wird dabei durch Familie, Umfeld und Religion (oder vergleichbar sinnstiftende Dinge) geprägt. Im Bootcamp, so meine Befürchtung, wird dieser Platz vorgegeben. Und die Prägung erfolgt von Staats wegen. Das ist nicht Aufgabe des freiheitlichen, demokratisch Staates. Nur Gesinnungsdiktaturen (das können übrigens nicht nur Staaten sondern auch Sekten, Klöster oder ähnliche Dinge sein) kommen auf die Idee, die Menschen gleichförmig zu machen. Dort ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit vehement eingeschränkt.
Ausserdem wird Sicherheitsverwahrung nur sehr selten angeordnet - wollen wir die restlichen Mörder lieber einfach so rumlaufen lassen, mit uneingedämmter Rückfallgefahr, und nichtmal versuchen, ob es eine bessere Methode gibt, die Rückfallgefahr zu minimieren, als unser nicht sehr effizientes System von Gefängnis + Bewährungshelfer?
Zu ergänzen wäre da noch die verordnete Therapie und ähnlich gelagerte pschosoziale oder psychatrisch/medizinische.
Ganz grundsätzlich: Es wird immer Rückfallgefahren geben, das ist systemimmanant, das müssen wir erdulden können.
Unser bisheriges System dämmt Rückfallgefahren ein. Ich würde deshalb nicht von "uneingedämmten" Rückfallgefahren sprechen.
Bootscamps, so vermute ich, werden so lange in der Öffentlichkeit als ganz was tolles angesehen, bis der erste Bootcampteilnehmer trotz erfolgreicher Teilnahme rückfällig wird. Dann wird es dem Bootcamp so gehen wie den ganzen anderen psychotherapeutischen, psychatrischen oder operativen Methoden. Die einen werden sagen: Fehleinschätzungen passieren immer, die andere werden sagen: Unnützes Manipulieren an Persönlichkeiten, die anschließende dennoch straffällig werden und vielleicht sogar gefährlicher agieren.
Ich halte Bootscamps aus grundsätzlichen Erwägungen, die ich weiter oben skizziert habe, für einen falschen Ansatz. Und wenn überhaupt, dann darf die Teilnahme an einem Bootcamp nicht strafverkürzend sein. Das wäre ja eine lustige Idee, wenn ich die Strafe verkürzen kann, nur weil ich eine vom Gericht als notwendig erachtete Maßnahme tatsächlich befolge.
Wenn die Gesellschaft ein höheres Bedürfnis an Befriedung hat, dann soll sie sich auch fragen, warum sie es zulässt, dass sich in unserere Gesellschaft solche Persönlichkeiten überhaupt entwickeln. Eine Bekannter, Sonderschullehrer, hat mir das neulich mal sehr drastisch dargestellt. In meiner Umgebung ist die Lokalpolitik vor einigen Jahren vielerorts auf die Idee gekommen, die Kosten für die Betreuung sozial auffälliger Jugendlichen zu minimieren, indem Sonderbereiche (z.B. Wohngruppen mit eigener schulischer Betreuung) geschlossen werden und die Kinder/Jugendlichen (ausschließlich) dem Regelschulsystem überantwortet werden. Die sozialen Dienste arbeiten subsidiär, was in der Praxis häufig genug heißt, dass sie erst dann auftauchen wenn die Polizei schon vor Ort ist. Da gab es viel Applaus für, schließlich kann es ja nicht sein, dass diese Roh- und Widerlinge dem Staat auch noch richtig viel Geld kosten und deshalb manche Schule nur ein und nicht vier Klaviere hat/haben und so manches Gymnasium mit Schwerpunkt Sport völlig ohne Golfplatz vor sich hin kümmert.
Die garnicht ironische Folge: Sonderschulklassen, die eh schon schwierig genug zu handeln sind, werden nun noch zusätzlich mit Schülern belegt, die durch ihr Verhalten eine Lernsituation für den gesamten Klassenverband schlicht unmöglich machen. Die sprengen halt jede Gruppe, in der sie sich aufhalten. Der Bekannte, zu dessen Aufgaben es gehört, regelmäßig Entwicklungsberichte über solche Schüler zu schreiben, stellt nun fest, dass nicht nur die Entwicklungchancen der problematischen Jugendlichen sinken sondern zugleich die Menge der problematischen Jugendlichen steigt, da der verschwindende Einfluss des Lehrkörpers auf den restlichen Klassenverband so manchen Wackelkandidaten auf die falsche Seite fallen lässt.
Wo aber die Prävention bewusst(!) keinen Stellenwert mehr hat, soll man bitte schon aufhören, sich ständig neue Gedanken über mögliche Alternativen zur Behandlung der Folgen zu machen.
Deine ganzen Bedenken, ob den armen Mördern "Gehirnwäsche" zugemutet werden kann, sind darum völlig herbeikonstruiert und gehen an dem vorbei, was ich gesagt habe.
Wir diskutieren hier öffentlich. Du solltest also nicht jedes meiner Argumente als persönlichen Angriff oder so was ähnliches werten. Ich habe mich mit der Idee von Bootscamps auseinandergesetzt. Dabei ist es mir ziemlich Banane, ob irgenwas, was ich dazu äußere, deiner Meinung widerspricht oder ob Du Dich zu Teilaspekten, die mir in den Sinn kommen, geäußerst hast oder nicht. Wenn meine Bedenken an einen System an dem vorbei gehen, was Du zu dem System gesagt haben, dann können wir gemeinsam feststellen, dass Du und ich unterschiedlich an das Problem herangehen und verschiedene Aspekte betrachten. Diese Feststellung macht weder Deine noch meine Meinung wahrer oder besser noch gibt sie einem von uns mehr Recht als dem anderen.
Viele Grüße
Swen Wacker