Hi Robert,
..., warum nach der Wiedervereinigung eine solche Welle der Verblödung über Deutschland hingezogen ist.
Ich denke, dass das in Ostdeutschland zwei Gründe hat:
- In der DDR gab es wohl nur sehr wenige Ausländer
- die ostdeutsche Wirtschaft nicht saniert, sondern abgewickelt worden ist, d.h. es gab auf einmal viel mehr Arbeitslose, ohne Aussicht auf Stellen.
Das sind zwei sehr wichtige Gründe, auf die aber sehr viele Reaktionen möglich wären.
Warum aber diese Faszination gerade für die rechte Szene bei einigen und die stille Sympathie vieler Zuschauer?
mögliche Gründe aus meiner Sicht:
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Abneigung gegen alles, was von links kommt aufgrund der SED-Erfahrung
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Tendenzen in der DDR-Gesellschaft, die sich bei den Rechten wiederfinden (Militarismus, Fahnen, Führung, Lügen und Vorurteile, Hierarchie, Abneigung gegen kritische Intellektuelle, Misstrauen gegen aalle Ausländer, auch gegen Westdeutsche)
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stalinistische Tradition, rechte Gangs zu dulden, wenn sie nur aus der Arbeiterklasse kommen und als Progrommeute gegen Kritiker einsetzbar sind (bei Solschenyzin findet sich dazu einiges, die Bergarbeiter in Rumänien, die die Ceaucescou-Gegener zusammenknüppelten sind ein anderes Beispiel
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fehlendes Selbstbewusstsein, Schwierigkeiten, sich in der neuen Welt zurechtzufinden
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Hoffnung auf konkrete Gewinne; der Deutsch-Afrikaner in Potsdam wurde nicht nur rassistisch beschimpft, sondern auch ausgeraubt; vielleicht gibt es auch Geldleistungen und Unterstützung für Aktive der rechten Szene
Verantwortung ist allerdings eine schwere Bürde, von der man sich doch gerne befreit, wenn dies möglich ist. Außerdem glaube ich, dass das Bewusstsein für diese Verantwortung fehlt.
Ich meine nicht nur die moralische Verantwortung, ich meine ganz konkret die Folgen für das eigene Leben und die eigene Umgebung. Ich hatte einen Schüler, der aufgrund rechter Gewalt vorbestraft und von der Schule geflogen war und jetzt mit den Braunen gebrochen hatte: Da bleibt etwas zurück, nicht nur die Vorstrafe, auch eine persönliche Störung.
Weißt du, warum Tojota seine Autos in Frankreich statt in Deutschland baut? – Unter japanischen Managern wird man als verrückt bezeichnet, wenn man in Deutschland, auf Grund der Subventionsmöglichkeiten bevorzugt im Osten, Fabriken eröffnet – wegen der rechtsradikalen Verbrechen.
Ich hatte so etwas schon gehört. Ich hatte selbst zu Wendezeiten zwei gute Jobangebote aus ddem Osten und habe sie wegen der Atmosphäre abgelehnt, nicht wegen der Arbeit.
Härtere Strafen für jede Art von Gewalt gegen Menschen wären ein Ansatz, es bleibt aber die Kernaufgabe, wieder zueinander zu finden und konkret etwas für internationale Kontakte zu tun.
Strafen sind das Mittel, welches zum Tragen kommt, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Effizienter, wirksamer und volkswirtschaftlich günstiger ist es allerdings, Probleme, die Straftaten auslösen können, präventiv zu bekämpfen. Von daher können höhere Strafen nur ein Mittel sein, öffentliche Jugendzentren oder Angebote wie 1€-Jobs beispielsweise sollten allerdings bevorzugt werden.
Ja, auch wenn ich die 1-Euro-Jobs für eine fatale Fehlorientierung halte.
Bei den Jugendlichen, mit denen ich es beruflich zu tun habe, gibt es schon einen Zusammenhang zwischen fehlender Bildung und Beteiligung an rechter Gewalt.
Aber gilt die Umkehrung auch, dass alle Stammtisch- und Jung-Nazis einen eher bildungsfernen Hintergrund haben?
Naatürlich nicht.
Ich denke, dass die Schichten, die damals Hitler gewählt haben (Mittelschicht/Bürger, Kleinunternehmer, Handwerker, …) auch heute über ein entsprechendes, wenn auch latentes, rechtes Potenzial verfügen, die Arbeiterklasse war ja damals der KPD zugetan.
Klingt wie eine DDR-Faschismusanalyse. In der SA waren durchaus jugendliche Arbeiter. Aber wie auch immer, das Klassensystem der Weimarer Zeit ist eh nicht auf unsere Gesellschaft sinnvoll übertragbar.
In der jetzigen Situation ist das Bieten von Perspektiven sehr wichtig um den Rechten das Wasser abzugraben – dummerweise steht dies nur teilweise im Gegensatz zur Ellenbogen-Gesellschaft, deren Verlierer gerade unsere „kleinen Nazis“ sind.
Ich halte es auch für die zentrale Frage, wieder mehr Menschen eine berufliche Perspektive anzubieten, dann lösen sich einige Probleme wie von selbst.
Viele Grüße
Mathias Bigge