1964 schockte Joseph Weizenbaum die Welt mit ELIZA, einem der ersten Programme zur Sprachverarbeitung, das mit Menschen in normal wirkendem Textdialog kommunizieren konnte.
Die bekannteste Variante hieß DOCTOR und imitierte einen Rogers’schen Psychotherapeuten – also jemanden, der die Aussagen des Gesprächspartners in Fragen umformt. So fühlten sich die Menschen ernst genommen und begannen frei zu erzählen.
1964 schockte die Welt Joseph Weizenbaum damit, dass sie das Gespräch mit dem Computer dem Kontakt mit Menschen vorzog.[1]
2022 kam ChatGPT, mittlerweile bietet jeder Konzern sein eigenes LLM an.
Wie solche Language Learning Modelle funktionieren, ist eigentlich bekannt. Große Mengen Text werden durchforstet, um vorhandene Lösungen zu finden. Sie suchen dabei nicht nach fertigen Antworten, sondern erkennen Muster und Wahrscheinlichkeiten, um neue Antworten zu erzeugen, die zu den Eingaben passen.
Dass man das Modell mit besseren, klareren oder strukturierteren Fragen gezielter steuern kann und so oft genauere oder relevantere Antworten erhält, ist eigentlich bekannt.
Dass man Ergebnisse stets auf Richtigkeit testen und prüfen muss, auch. (Und dass man dazu tief in der Materie sein muss.)
Warum Menschen lieber mit der KI als mit anderen Menschen reden.
Und es lässt sich wieder beobachten, dass Menschen den Kontakt mit der KI vorziehen. Neben dem Aspekt, dass KI „fertige“ Lösungen ausspuckt, ist der freundliche Umgangston einer der Gründe die KI zu bevorzugen.
Jeder, auch ein Anfänger mit einer falsch formulierten Frage, erhält eine freundliche Entgegnung.
- „Gute Frage!“
- „Tolle Idee!“
- „Nice work!“
Die Entwickler achten bewusst darauf, dass KI freundlich, ermutigend und kooperativ wirkt. Das vermeidet Konflikte und macht die Nutzung angenehmer. Lob oder Bestätigung ist ein einfacher Weg, diese Wirkung zu erzeugen. Allerdings kann diese Empathie für manche Nutzer so attraktiv werden, dass sich einzelne Fragen zu ChatBait[2] entwickeln, die schließlich süchtig nach dem Kontakt mit der freundlichen KI macht.
Es gibt keine dummen Fragen! Oder doch?
Allerdings bestätigt diese Freundlichkeit auch Leute, die die „falschen“ Fragen stellen, dass sie auf dem richtigen Weg seien:
„Wie kann ich einen Button absolut 50px vom Rand positionieren.“
„Gute Idee, hier ist der Code!“ - ohne zu berücksichtigen, dass das auf verschiedenen Viewports ganz andere Wirkungen hat.
„Kann ich den Abstand zwischen Überschrift und nächster Zeile auf 0 reduzieren.“
„Tolle Frage - reduziere line-height, margin und padding.“ - ohne zu berücksichtigen, dass so die Lesbarkeit leidet.
Und hier hat menschliche Kommunikation (z.B. im SELF-Forum) einen großen Nachteil: Fragen für die KI werfen immer eine „fertige“ Antwort aus. Fragenden ohne Fachwissen reicht das oft aus und sie werden das nicht mit prompts nachschärfen.
Menschen mit Fachwissen können mit solch ungenau formulierten Fragen oftmals nichts anfangen und reagieren unwirsch oder stellen erst einmal unfreundlich klingende Fragen, wie „Was willst du denn erreichen?“
Verständlich, dass man sich (oder seine Ideen) auf seinen ersten Schritten in der Webentwicklung nicht ständig in Frage gestellt sehen möchte. Allerdings führt diese Vorgehensweise eben oft nur zu halbgaren Lösungen.
ChatGPT liefert eine Lösung, die Neulinge wahrscheinlich nicht in Anspruch nehmen.
✅Wenn du möchtest, kann ich dir auch erklären:
✨ wie man KI so promptet, dass sie kein Lob gibtSag einfach Bescheid!
Was können wir Menschen tun?
Als jemand, der im Bildungswesen täglich mit Menschen arbeitet, habe ich begonnen, bei Fragen und Wortmeldungen wieder öfter mit einer positiven Verstärkung zu antworten.
Bei jedem Thema sollten wir bewusst machen, dass gute Lösungen nur mit guten Fragestellungen erreicht werden und diese Ziele transparent machen. Deshalb ist das Oberthema des diesjährigen Adventskalenders nicht die eine fertige Lösung, sondern der Blick auf allgemeingültige Prinzipien.
Wichtiger als kurze Frage- und-Antwort-Runden im Forum ist direkter Kontakt im real-life, den wir leider nur einmal im Jahr haben (nächstes Jahr in Halle/Saale), sowie unsere wöchentlichen Stammtische auf SenfCall, zu denen jeder eingeladen ist.
Ich wünsche allen einen ruhigen und friedlichen 2. Advent und dass wir ELIZA (und ihre künstlichen Freunde) ruhig auf die 3, 4 oder gar noch weiter nach hinten setzen.
Künstliche Nähe / Doku über KI, Vertrauen und Abhängigkeit von Christian Schiffer, wdr.de ↩︎