Hi Ludger,
Vielleicht nicht einmal Terrorismus sondern "Widerstand"?
In der arabischen Welt wird die israelische Politik von vielen ganz selbstverständlich als der aggressive Part gesehen, ebenso die amerikanische: Als Terror gegen den berechtigten Widerstand der Bevölkerung gegen die Okkupation, interessanterweise aber nicht so massiv der christlichen Religion zugeordnet wie umgekehrt, obwohl sich Bush durchaus auf religiöse Werte beruft. Es wäre also durchaus eine mögliche Diskurstaktik gegen den Westen, sozusagen den Spieß umzudrehen.
Also AN doch zu Recht in die Mangel genommen, wenn der Distanzierung der Moslems vom islamischen Terrorismus fordert? Weils den soz. gar nicht gibt?
Die Pauschalisierung hilft nicht weiter. Saddams Gasangriffe auf die kurdische Bevölkerung - ist das islamischer Terror? Die Unterdrückung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit durch eine wesentlich ideologisch, nicht religiös gebundene Gruppe, deren Mitglieder von der Herkunft in der Mehrheit Sunniten waren - wie passt das in das Schema? Der Terror der PLO war wesentlich _nicht_ religiös motiviert. Die Bedrohung Salman Rushdies durch iranische Fundamentalisten etwa würde ich als islamistisch bezeichnen, hier geht es unstreitig um religiöse Motive.
Nimm die ETA oder die IRA, wie weit kommt man da mit religiösen Analysen, selbst bei der IRA, die sich selbst als religiös motiviert sieht? Ein schönes Beispiel auch der serbische Blick auf die Albaner, die man dort gern als "Moslems" kategorisiert hat, obwohl
a) die Albaner zum Teil katholisch sind und
b) die Konflikte kaum religiös motiviert waren.
Die Religionsbezeichnung "Moslem" wurde in Bosnien und im Kosovo zum Killwort, um staatlichen Terror gegen eine ethnische Bevölkerungsgruppe zu legitimieren.
So wichtig, wie Dir die Einfachheit Deines Weltbildes ist, werde ich wohl kaum mit der Forderung bei Dir durchdringen, die komplizierte Realität wahrzunehmen und sich von Vereinfachungen zu verabschieden. Aber genau das wäre nötig:
Bei all den Berichten über die Anschläge auf amerikanisches Militär und ihr ziviles internationales und einheimisches Umfeld im Irak ist doch nur äußerst schwer auszumachen, welche Motive die einzelnen Gruppen bewegen, für diese Anschläge Kopf und Kragen zu riskieren.
Nimm doch dieses konkrete Beispiel, das die Welt so außerordentlich zu interessieren scheint, und Du wirst sehen, dass es eben keine einheitlich religiös motivierte Gruppe gibt, die man sinnvoll mit dem Begriff "Muslime" bezeichnen könnte, sondern eine äußerst komplexe Problemlage mit verschiedenen Gruppen und politischen Motiven.
Dabei scheinen mir Machtmotive und der Kampf um die Ressourcen durchaus die zentrale Rolle zu spielen, Machtkämpfe, die nach der brutalen Befriedung durch Saddams Terror und Spitzelsystem lange Jahre künstlich befriedet wurden.
Natürlich ist es viel einfacher im Stammtischton die Gewaltbereitschaft aller Muslime anzuprangern, aber das hilft eben nur am Stammtisch, nicht, wenn man eine Perspektive für den Irak entwickeln will.
Siehst Du die Deutschen des Jahres 1945, die in Deutschland ausgeharrt haben, aehnlich wenig in der Verantwortzung wie die Moslems jetzt?
Zumindest hilft die pauschale Bezeichnung "die Deutschen" da ebenso wenig weiter wie die Kategorie "die Muslime". Die Verallgemeinerung der Schuldzuweisung ins völkisch-nationale - "jeder Deutsche muss angesichts der Greuel des NS-Regimes..." - hatte vor allem die Funktion, von der Suche nach konkreter Schuld und Verantwortlichkeit zu einer allgemeinen moralisierenden Selbstbezichtigung überzuleiten. Es macht doch immer wieder Sinn zwischen Tätern und Opfern sauber zu unterscheiden.
Viele Grüße
Mathias Bigge