Mathias Bigge: Kapitalismuskritik

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Hi Richard,

Danke für die interessante und konstruktive Antwort.

Kapitalistische Grundsätze dürfen, können, sollen, müssen ständig hinterfragt, überprüft, bestätigt, korrigiert oder verworfen werden. Für Ideologien jederwelcher Prägung wird dies gerade vermieden.

Die Falsifizierbarkeit als Prinzip offener Gesellschaften ist mir sehr sympathisch, es scheint mir aber für das aktuelle politische Handeln nicht mehr zu gelten. Zumindest scheint es schwer möglich zu sein, Bedingungen anzugeben, unter denen ein Verfahren als gescheitert gelten soll. 5 Millionen Arbeitslose und eine steigende Staatsverschuldung, eine zweifelhafte Zukunft der Sozialsysteme, stagnierende Wirtschaftsdaten scheinen jedenfalls keine Argumente zu sein. Natürlich ist die Wirtschaft keine Wissenschaft, aber die in Abstufungen neoliberalen Konzepte, die Deutschland als verspätete Rosskur durchleidet, zeigen wenig positive Wirkung.

Gwinnorientiert Handeln ist aber nicht notwendigerweise kapitalistische Ideologie, selbst Marx sah das keinesweg so.

Schwierige These. Sicher, als Prinzip des Ökonomischen war es auch für Marx durchaus unverdächtig. Dass daraus unter den bestehenden Eigentumsverhältnissen notwendig bestimmte Denkweisen entstehen, scheint mir dennoch eine Marxsche Kernthese zu sein.

Das Verrückte, und eigentlich auch ganz Neue an der jetzigen Situation ist, dass weltweit mehr Kapital angeboten als nachgefragt wird. Und die Bereitschaft der Anleger, die unvorstellbare Verschuldung der USA damit zu unterstützen lässt nach.

Es fehlen vielleicht Konzepte/Probleme/Wirschaftsbereiche, die hohe Investitionen gewinnversprechend erscheinen lässt.

Ist nicht unsere aktuelle Politik hoch ideologisch?
Darüber bin ich unschlüssig. Ich kann (jedenfalls für Deutschland) nicht so richtig ergründen, was Ursache und was Wirkung ist. Sind ideologische Parolen einfach die Folge von unreflektierten Verhaltensmustern? Oder prägen umgekehrt festgefahrene Ideologien das politische Handeln?

Schwierige Frage. Nach langen Jahrzehnten keynesianistischer Glaubensbekenntnisse, quer durch alle Parteien scheint sich das neoliberale Credo durchgesetzt zu haben. Dass dies aufgrund von Erfahrungen geschehen sein soll, wage ich zu bezweifeln, das Modell zieht seinen Erfolg eher aus Interessen bestimmter Wirtschaftskreise. Für die Multis schien vielleicht eine globale Liberalisierung als Königsweg, weitere Märkte und Spielfelder zu gewinnen. Zumindest die Politik der USA und der Weltbank scheinen diesem Muster zu folgen.

Sie werden aber nicht allgemein in Anwendung gebracht, sondern nur für die Teile der Belegschaft, die man für entwicklungsfähig und für wertvoll hält.
Was wäre die Alternative? Auf den Elektrolocks in England fuhren lange Zeit untätig die ehemaligen Heizer von den Dapflocks mit.

Der zweite Arbeitsmarkt in Deutschland hatte ein vergleichbares Problem: Grundkonsens schien hier zu sein, dass in keinem Fall etwas Nützliches finanziert werden dürfte. Vielleicht ein Ansatz zum Umdenken?

Versteuert werden nicht die Exporte, sondern die Gewinne.

Die bei den Großen auf dem Papier nur in Steuerparadiesen anfallen, Du hast das Problem angesprochen. Hier fehlen der Steuerpolitik Know How und Personal, vor allem aber übernationale Vereinbarungen.

Es müssen schon echte Arbeitsplätze her. Was spricht dagegen, im staatlichen Bereich, etwa in den Bereichen Kinderbetreuung und Bildung offensiv Arbeitsplätze als Investition in die Zukunft zu schaffen?
Du erträgst ja meinen Zynismus mit Humor ;-). Würdest du eine derart zukunftsweisende Aufgabe einem Unternehmen übertragen, das bei der Lösung bisher auf der ganzen Linie versagt hat?

Mir geht es nicht um den Staat als Träger von Bildungseinrichtungen, die Förderung könnte durchaus private Bildungsträger und Tageseinrichtungen einsetzen, um zusätzliche Kräfte und Interessen zu mobilisieren. Ich kenne beide Bereiche aus eigener Erfahrung sehr genau.

Gerade zur Zeit wird der Markt für freie Bildungsträger politisch massiv unter Druck gesetzt, fehlt es den öffentlichen Schulen zum Teil massiv an geeigneten Mitteln. Es bringt mich wirklich auf, dass gleichzeitig alle Parteien "Bildung" zum Wahlkampfschlager machen, de facto aber eine kleinstaatliche Politik betreiben, die die entscheidenden Probleme nicht im Ernst angeht.

"Ganztagsschule" heißt der Slogan der SPD - und niemand fragt nach der Qualität der Nachmittagsbetreuung. Eine andere Mogelpackung ist die flexible Eingangsstufe, für die den Schulen keinerlei Mittel zur Verfügung gestellt werden. Geld fehlt für moderne Medien, für Lehrerfortbildung, für qualitativ hochwertige Arbeit in den Kindertagesstätten. Teilweise wird in völlig abgerockten Gebäuden gearbeitet, Unterricht fällt aus, vor allem der Bereich der Sekundarstufe 1 ist die reine Katastrophe.

Abhilfe schaffen sollte die kybernetische Pädagogik. Ich war dabei. Deutschlands Zukunft stand auf dem Spiel, was mich weniger interessierte als die Sache an und für sich. Die Pädagogik hat sich wieder entkybernetisiert und die Pädagogen sind Garant für Deutschlands Zukunft. Ob die mit mehr Pädagogen aber wirklich besser wird?

Eine interessante Frage. Auch die aktuellen pädagogischen Moden werden die Probleme nicht lösen, vielleicht, so könnte man zynisch sagen, ist das Problem weder mit Geld noch mit Lehrerstellen zu knacken. Es fehlt vielen Jugendlichen einfach an Perspektiven, an Durchhaltevermögen, an Rückhalt in den Familien. Also einfach per Gießkanne das Bildungssystem aufzublähen, wäre sicher ein problematischer Ansatz. Es müsste schon Qualität sein, in die investiert wird.

Gerade der ganze Bildungsbereich entzieht sich beharrlich einer wirtschaftlichen Beurteilung. Professionelle Kinderbetreuung in Firmen scheint mir da aussichtsreicher und schafft auch Arbeitsplätze.

Ich finde besonders auch private Elterninitiativen förderungswürdig, da hier Engagement der Familie und institutionelle Betreuung zusammenwirken.

Viele Firmen, und ich meine es ist die Mehrheit, machen sich ja durchaus Sorgen um die menschlichen Schicksale und versuchen Entlassungen zu vermeiden. John Deere in Mannheim, die ehemalige Lanz Traktoren, halte ich für ein gutes Beispiel, weil ganz gezielt die regionale Verankerung als Wert gesehen wird. Geredet wird aber fast immer nur von den anderen.

Vielleicht müsste man wirklich solche positiven Beispiele stärker ins Bewusstsein rücken.

Viele Grüße
Mathias Bigge

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