Mathias Bigge: Kapitalismuskritik

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Hi O'Brien,

Aber mal im Ernst: Die Aussage von Richard ist sicherlich sehr pauschal, aber sie birgt einen wahren Kern, wie ich finde. Wie denkst du darüber? Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass du für die schlechten PISA-Ergebnisse nur die Schüler verantwortlich machst ...

Es ist nicht so leicht wie Du denkst, einen Schuldigen auszumachen. Unsere Gesellschaft klafft immer weiter auseinander und diese Schere öffnet sich zusehends, lange vor dem ersten Schultag.

Da gibt es die Kinder, die am ersten Schultag schon etwas lesen und schreiben können, auch komplizierte Sachverhalte verstehen und erklären können, elementar rechnen, schwimmen, reiten, Fahrradfahren, ein bisschen Englisch beherrschen, einige Länder bereist haben, diverse Kreativkurse und eine musikalische Früherziehung besucht haben. Diese Kinder wurden in einer Elterninitiative betreut, die mit der doppelten Betreuerzahl wie in den staatlichen Kitas daherkommen, sie können elementar mit einem Computer umgehen, können klettern, in einem Team etwas basteln oder bauen, haben vor allem nur wenige Stunden vor der Verblödungsmaschinerie Fernsehen verbracht.

Dann gibt es Kinder, um die sich so recht keiner kümmert, die nicht richtig sprechen, springen und singen können. Ausländerkinder, die kaum Deutsch sprechen. Deutsche Kinder, deren Eltern auf der sozialen Rolltreppe abwärts unterwegs sind, vielleicht trinken, sich aufgegeben haben. Kinder reicher Eltern, die ohne Herz in einem Wust von Besitz vor dem eigenen Fernseher oder Spielgerät sitzen. Sozial gestörte Kinder mit heftigen Aggressionen, die ihre Spielkameraden oder sich selbst verletzen. Missbrauchsopfer. Kinder, die in trostlosen Verhältnissen groß werden, denen im Winter keiner warme Kleidung anzieht und die noch nie an einem gemeinsamen Mittagstisch der Familie gesessen oder gemeinsam Reisen oder etwas anderes Tolles unternommen haben. Andere Kinder sind schon voll auf dem Konsumtrip, haben alles von "Felix", "Barbie" und "Walt Disney", alle Klamotten im aktuellen Style.

Zwischen diesen Polen gibt es eine Fülle von Zwischenschritten, gibt es verschiedene Einwandererkulturen, etwa bildungsfeindliche Islamisten, die ihre Kinder völlig autoritär von unserer Gesellschaft fernhalten wollen, ehrgeizige aber auch faule Einwandererfamilien aus Osteuropa, halblegale Kinder "geduldeter" Flüchtlinge, oft vom Balkan, die hier seit 18 Jahren leben und nie ein sicheres Aufenthaltsrecht hatten oder haben, wirklich zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden.

Welche Rechtfertigung ist nötig für eine grobe politische Orientierung in der Demokratie, geographisches Grundwissen und Prozentrechnung?
Es gibt in meinem Leben durchaus Situationen, in denen man das gebrauchen kann....
Ja, in _deinem_ Leben, im Leben der "krass, Alder"-Generation auch?

Interessante Frage. Simple Antwort: Wenn sie erfolgreich an einem Einstellungsgespräch teilnehmen wollen, wäre das vielleicht eine Idee, oder? Wenn Sie mitbestimmen wollen in Betrieben oder Parteien, wär's vielleicht nicht schlecht. Und: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

Aber mal Spaß beiseite, prinzipiell stimme ich dir da zu. Wobei die Lehrinhalte z.T. vielleicht doch etwas praxisrelevanter sein dürften. Ich fand z.B. im Deutschunterricht Grammatik absolut unnütz,

Ich habe gerade einige Klassenarbeiten korrigiert, unter anderem in Bildungsgängen mit kaufmännischer Ausrichtung. Was meinst Du, welche Chancen die no-grammar-Fraktion bei einem Einstellungstest hat? Wer würde auf die Idee kommen, so simple Sprachen wie PHP lernen zu wollen, ohne sich mit Befehlen und Syntaxregeln beschäftigen zu müssen. Aber Deutsch, na klar, das machen wir aus dem Bauch *g*

Natürlich gibt es Leute, die das aus dem Bauch können, nämlich die, die von früher Kindheit an mit Büchern konfrontiert werden und in einer Umgebung aufwachsen, in der korrekt Deutsch gesprochen wird. Inzwischen dürfte das eine Minderheit von grob geschätzt 30% sein.

Auch hilft es ungemein, zu wissen, warum man etwas lernt.

Natürlich hast Du Recht. Es gibt aber ein seltsames Geheimnis der Bildung, das viele nicht verstehen: Das größte Privileg der Eliten ist es, während ihrer Schulzeit völlig praxisirrelevante Dinge lernen zu dürfen. Platos Höhlengleichnis, Lateinisch, höhere Mathematik, organische Chemie, eine Theater-AG, ein Musikinstrument, vielleicht, wie man in einer Band oder in einem Orchester spielt, die Geschichte der russischen Literatur im 19. Jahrhundert, die Einflüsse Hegels auf die französischen Denker der Gegenwart, irgendwelche abgedrehten Gedichte von Benn und Celan.

In anderen Ländern ist man sich dessen bewusst, in Frankreich, England oder Japan zum Beispiel, bei uns herrscht die Meinung, der perfekte Deutschunterricht wäre so eine Art höherer Schulung für Verkaufsgespräche, der perfekte Matheunterricht müsse sich sofort auf Anwendungen stürzen. Wir sind eben auf dem Wege vom Volk der Dichter und Denker zu einer demokratischen Gemeinde sympathischer Dussel, die mangels eigener Hirnmasse jedem Mainstream hinterhereiern müssen...

Viele Grüße
Mathias Bigge

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Kapitalismuskritik

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