Hallo Mathias,
Der Lehrer als Meister oder Guru hat meines Erachtens ausgedient. Natürlich, eine Persönlichkeit sollte vor den Schülern stehen, damit sie daran wachsen können. Aber Persönlichkeitsentwicklung muss auch bei Lehrern wachsen und gefördert werden. Da geschieht m.E viel zu wenig oder sogar das Gegenteil.
Da sind wir uns wieder mal einig ;-) Wobei Persönlichkeit schwer definierbar ist. Ich denke, dass dabei ein starker Zusammenhang mit den angewandten Unterrichtsmethoden besteht. Bei der ersten PISA-Studie wurde in der Schweiz festgestellt, dass die Abweichungen zwischen den einzelnen untersuchten Klassen viel grösser waren als zwischen den Ländern. Eine anschliessende Studie zeigt auf, dass dies wesentlich von der Persönlichkeit der Lehrer und den verwendeten Unterrichtsmethoden abhing. Was für eine Überraschung! ;-)
Ich habe bis vor kurzem in der kommerziellen Weiterbildung gearbeitet, wo Menschen, meist Akademiker, viel Geld ausgeben, um in möglichst kurzer Zeit ein bestimmtes Wissen, bestimmte Fähigkeiten zu erwerben. Die Frage "Wozu machen wir das?" habe ich da relativ selten gehört.
Hier dürfte die Frage im Vorfeld ja auch geklärt sein. Vielleicht wäre es ein Ansatz, für die Schule ein Angebot bereit zu halten, aus dem die Schüler auswählen können. Aber wie war das mit der Persönlichkeit der Pädagogen? Für die ist es doch einfacher, einen vorgegebenen Lehrplan abzuarbeiten.
Da gibt es immer mehr Kinder, die sich gar nichts mehr zutrauen, die keinen Spaß am Knobeln haben, sich kaum konzentrieren können, nicht mehr neugierig sind. Woran das liegt, finde ich schwierig zu beantworten, obwohl ich natürlich einige Ideen habe.
Das ist nicht nur bei Kindern so und im Erwachsenenleben ist das wo möglich noch ein grösseres Problem. Was aber ist Ursache und was Wirkung? Wird das Verhalten der Erwachsenen im Kindesalter geprägt, oder eher das Verhalten der Kinder durch die Erwachsenen verursacht?
Nimm das Berufskolleg, für das ich arbeite, als Beispiel: Da werden über den Stoff hinaus nur sehr elementare Dinge gefordert: Pünktlichkeit, eine gewisse Disziplin, Verzicht auf Gewalt und Zerstörung. Muss man das noch rechtfertigen, angesichts der Tatsache, dass wir auf das Berufsleben vorbereiten? Auch pädagogisch läuft vieles moderner und weniger antiquiert als einige hier sich das vorzustellen scheinen.
Einverstanden. In dieser konkreten Form handelt es sich aber bereits um klare und auch weitgehend quantifizierbare und messbare Lernziele. Meine Kritik an der Pädagogik - und hier vor allem an der Theorie - bezieht sich auf eine mangelhafte Unterscheidung zwischen Meinen und Wissen, also etwa die Unterscheidung von Praxis und Poiesis bei Aristoteles. Gutmenschen können einfach nicht nach den gleichen Regeln und Methoden "produziert" werden wie abfragbare Rechenleistungen in einer PISA-Studie.
Weißt Du, es gibt in der Schule viele unechte und künstliche Debatten zwischen Lehrern und Schülern. Die Killerfrage "Wozu brauche ich das?" dient nicht der wirklichen Klärung eines Problems, sondern drückt Demotiviertheit und Missfallen aus.
Ich halte dies primär für ein Spiegelbild der unehrlichen Kommunikation in der gesamten Gesellschaft. Gute Ausreden werden überall belohnt und Ehrlichkeit bestraft. Ironisch frage ich mich allerdings, ob eine gute Ausrede nicht eine kreative Leistung darstellt.
Nimm den Deutschunterricht: Natürlich ist es interessanter, ein Theaterstück aufzuführen oder einen Roman zu lesen als Geschäftsbriefe nach DIN XY abzufassen oder Wortarten zur Verbesserung von Rechtschreibeproblemen zu analysieren. Vielleicht ist sogar die Theater-AG die viel bessere Vorbereitung auf den Beruf als die Einübung standardisierter betrieblicher Kommunikation. Letzteres lernt jeder, der keinen Nagel im Kopf hat, in drei Wochen in seinem zukünftigen Betrieb,
Nun verdienen aber in der schnöden Berufswelt mehr Leute Geld mit dem Schreiben von Standardbriefen als mit Theaterspielen. (Soweit die Berufswelt nicht auch als reines Theater gesehen wird ;_).) Und ein Unternehmen darf ja wohl erwarten, dass ein Berufsschulabgänger Standardbriefe schreiben kann und nicht ihm die Kosten einer solchen Ausbildung aufgebürdet werden.
die Theater-AG ist ein perfektes Trainingsfeld für Teamwork, Kreativität, Präsentation, Zuverlässigkeit und Arbeitsteilung. Zudem gibt es ein konkretes Produkt und spannende menschliche Auseinandersetzungen, mit anderen und sich selbst, mit Ängsten vor Publikum usw.
Ich versuche gerade zu ergründen, warum in der betrieblichen Aus- und Weiterbildungspraxis diese Seminare mit Theaterspielen so erfolgreich sind. Sicher hat dies etwas mit der genannten Unterscheidung von Praxis und Poiesis zu tun. Ein Standardbrief nach DIN kann formell richtig sein, ob aber ein Mitgefühl beim Beantworten einer Reklamation auch ausgedrückt wird und vom Briefempfänger als echt empfunden wird, liegt aber auf einer anderen Ebene.
Ich habe es schon an anderer Stelle geschrieben: Das größte Privileg im Bildungssystem sind Inhalte, die von jeder Praxis entfernt und aus Verwertungssicht völlig sinnfrei sind. Gerade die dort erworbenen Fähigkeiten machen den Unterschied zwischen Büroboten, Sachbearbeitern und Managern aus.
Mir scheint, wir sind unteschiedlicher Auffassung über den Sinnbegriff, über Sinn und Zweck. Ich würde akzeptieren, dass diese Inhalte zweckfrei sein können, nicht aber dass sie sinnfrei sind. Ich finde, es bringt nichts, den Sinn von Bildung in Frage zu stellen, ich akzeptiere lediglich, dass man das könnte. Ob Bildung einen Zweck verfolgen muss, bestreite ich aus prinzipiell logischen Gründen. Zwecke sind Ziele für die bereits die Mittel festgelegt sind, mit denen sie erreicht werden sollen. Ziele müssen aber auch dann möglich sein, wenn noch keine Mittel zu ihrer Verwirklichung bekannt sind, schliesslich sollen und können neue Mittel geschaffen werden. Ich sollte einfach offen sein, dass sich mir der Sinn von Bildung irgendwann erschliessen könnte, darf aber nicht unbedingt damit rechnen. Darauf beruht auch die Ambivalenz der künstlichen Intelligenz. Ich bezweifle nicht, dass Maschinen möglich sind, die viel intelligenter sind als Menschen dies je sein können, nur werden die Dinger so dumm sein, dass sie es gar nicht merken.
Mein Töchterlein hat in einem schönen Kinderbuch einige Hyroglyphen gelernt und selber nachgezeichnet. Jetzt konnte sie vor kurzem in einem Filmbeitrag über neue aufregende Funde in Ägypten zufällig etwas lesen und wiedererkennen. Sowas zählt für mich, obwohl es genau zu gar nichts nütze ist.
Warum sagst du, das sei zu gar nichts nütze? Das Beispiel beweist doch gerade das Ggenteil. Sie hat doch nun eindrücklich erfahren, dass es einen Sinn hatte, einfach so aus Spass Hyroglyphen nachzuzeichnen.
Beste Grüsse
Richard