Mathias Bigge: Kapitalismuskritik

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Hi Richard,

Und ich könnte ja auch noch anmerken, als Lehrer arbeiten sei wo möglich ein Unterschied zum Lehrer sein ;-)

Viele sind berufen, nur wenige auserwählt... Ich finde die nüchterne Sicht auf den Lehrerberuf zeitgemäß und wesentlich sympathischer als die pädagogischen Glaubensfahnen, unter denen sich manche versammeln. Der Lehrer als Meister oder Guru hat meines Erachtens ausgedient. Natürlich, eine Persönlichkeit sollte vor den Schülern stehen, damit sie daran wachsen können. Aber Persönlichkeitsentwicklung muss auch bei Lehrern wachsen und gefördert werden. Da geschieht m.E viel zu wenig oder sogar das Gegenteil.

Auf jeder Stufe der Aus- und Weiterbildung hat man sich mit Personengruppen zu befassen, wie sie sind und nicht wie Pädagogen sie sich wünschen.

Was immer das heißen mag. Ich habe bis vor kurzem in der kommerziellen Weiterbildung gearbeitet, wo Menschen, meist Akademiker, viel Geld ausgeben, um in möglichst kurzer Zeit ein bestimmtes Wissen, bestimmte Fähigkeiten zu erwerben. Die Frage  "Wozu machen wir das?" habe ich da relativ selten gehört.

Vielleicht ist es ganz normal, dass es für Kinder und Jugendliche einen gewissen Frust bedeutet, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die auf eine Praxis zielen, die in weiter Ferne liegt. Heute trifft man aber oft auf junge Menschen, deren Lernwiderstände viel größer sind, als dieses natürliche Unbehagen in der Kultur, die unmittelbar hedonistische Bestrebungen für entfernte Ziele aufzuschieben fordert.
Da gibt es immer mehr Kinder, die sich gar nichts mehr zutrauen, die keinen Spaß am Knobeln haben, sich kaum konzentrieren können, nicht mehr neugierig sind. Woran das liegt, finde ich schwierig zu beantworten, obwohl ich natürlich einige Ideen habe.

Pädagogik hält einen imaginären Ganzheitsanspruch aufrecht

Ob das wirklich das Problem ist? Nimm das Berufskolleg, für das ich arbeite, als Beispiel: Da werden über den Stoff hinaus nur sehr elementare Dinge gefordert: Pünktlichkeit, eine gewisse Disziplin, Verzicht auf Gewalt und Zerstörung. Muss man das noch rechtfertigen, angesichts der Tatsache, dass wir auf das Berufsleben vorbereiten? Auch pädagogisch läuft vieles moderner und weniger antiquiert als einige hier sich das vorzustellen scheinen.

Welche Rechtfertigung ist nötig für eine grobe politische Orientierung in der Demokratie, geographisches Grundwissen und Prozentrechnung?
Eine Rechtfertigung eher nicht, eine Begründung hingegen schon. Ich zog auch gar nicht den Nutzen und Vorteil des Wissens in Zweifel, nur die Fähigkeit der Lehrer, für wenig lernmotivierte Schüler eine überzeugende Begründung zu liefern. Um künftig in einem 1-Euro-Job im Park Müll einzusammeln kann ihm völlig egal sein, wer gerade Bundespräsident ist, wenn er dann seinem reichen Nachbarn den Garten bepflanzt mit Setzlingen, die er für 1 Euro einkauft und diesem mit 3 Euro berechnet, mag er mit den verdienten 2% durchaus zufrieden sein, und wenn er das Geld nicht hat, um nach Köln zu fahren, was interessiert ihn der Name des Flusses.

Ja, die geringen Chancen für viele jungen Menschen sind ein Problem. Aber ob es wirklich viel hilft, wenn der Lehrer bei jedem Stoff sagt, wofür das nützlich sein kann? Nimm als Beispiel die Vektorrechnung: Meinst Du, Anwendungsbeispiele  würden Jugendlichen, die Probleme haben, abstrakt zu denken, wirklich helfen? Gerade bei praxisnahen Aufgaben knicken viele schwache Schüler ein, da meist eher Schwierigkeiten gegenüber abstrakten Schemata hinzukommen. Viele Fächer und Stoffe der Oberstufe haben eben nur einen abstrakten Bezug zu irgendeiner Praxis, vielleicht auch gar keinen.

Ich habe in meiner Gymnasialzeit recht anspruchsvollen Mathematikunterricht genossen und hatte nie Gelegenheit, diese Verfahren anzuwenden. Dennoch fand ich das damals spannend, als geistige Herausforderung. Wenn überhaupt von Lehrerseite Motivation daherkam, dann vielleicht durch Anerkennung von Leistungen oder durch Persönlichkeit. Was davon geblieben ist? Ich traue mir zu, auch komplexe Probleme zu lösen, wenn sie mir begegnen, auch wenn ich mal nachschlagen muss.

Es gibt in meinem Leben durchaus Situationen, in denen man das gebrauchen kann....
Ja, vielleicht bringt es ja schon etwas, auf diese Erfahrung zu verweisen.

Weißt Du, es gibt in der Schule viele unechte und künstliche Debatten zwischen Lehrern und Schülern. Die Killerfrage "Wozu brauche ich das?" dient nicht der wirklichen Klärung eines Problems, sondern drückt Demotiviertheit und Missfallen aus. Hinzu kommt, das besonders praxisnahe Stoffe oft herausragend langweilig sind.

Nimm den Deutschunterricht: Natürlich ist es interessanter, ein Theaterstück aufzuführen oder einen Roman zu lesen als Geschäftsbriefe nach DIN XY abzufassen oder Wortarten zur Verbesserung von Rechtschreibeproblemen zu analysieren. Vielleicht ist sogar die Theater-AG die viel bessere Vorbereitung auf den Beruf als die Einübung standardisierter betrieblicher Kommunikation. Letzteres lernt jeder, der keinen Nagel im Kopf hat, in drei Wochen in seinem zukünftigen Betrieb, die Theater-AG ist ein perfektes Trainingsfeld für Teamwork, Kreativität, Präsentation, Zuverlässigkeit und Arbeitsteilung. Zudem gibt es ein konkretes Produkt und spannende menschliche Auseinandersetzungen, mit anderen und sich selbst, mit Ängsten vor Publikum usw.

Ich habe es schon an anderer Stelle geschrieben: Das größte Privileg im Bildungssystem sind Inhalte, die von jeder Praxis entfernt und aus Verwertungssicht völlig sinnfrei sind. Gerade die dort erworbenen Fähigkeiten machen den Unterschied zwischen Büroboten, Sachbearbeitern und Managern aus. Mein Töchterlein hat in einem schönen Kinderbuch einige Hyroglyphen gelernt und selber nachgezeichnet. Jetzt konnte sie vor kurzem in einem Filmbeitrag über neue aufregende Funde in Ägypten zufällig etwas lesen und wiedererkennen. Sowas zählt für mich, obwohl es genau zu gar nichts nütze ist.

Wer in Japan, England oder Frankreich an einer Top-Uni Literatur, Geschichte oder sonst einen Unsinn studiert hat, ist in den meisten Betrieben ein Kandidat für die Führungsetage, anders als bei uns, wo nur Squareheads eine Chance haben.....

Viele Grüße
Mathias Bigge

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