Hallo Reiner
wenn diese Leute in Massen eine bestimmte Haltung einnehmen: JA!
Ich halte Demokratie u. (bestimmten!) U. sogar für gefährlich! Nämlich dann, wenn sie mehr zählt, als eine irgendwann (aus gutem Grund) beschlossene Verfassung!
Aber jede Verfassung wird irgendwann mal alt werden. Weiter ist es denkbar, dass sich die Grundhaltung des Volkes, deren niedergeschriebene Ausdruck die Verfassung ist, verändern kann.
Also muss die Verfassung, der geschriebene Kodex eines Volkes, veränderbar sein!
Wer ist befugt, den (geschriebenen) Kodex des Volkes zu revidieren, wenn nicht das Volk selbst?
Mir schwebt ein (vielleicht blödes?) Beispiel vor:
Mache mal einen Volksentscheid (oder eine Befragung) zum Thema Todesstrafe in "ruhigen" Zeiten. Tue dann das Gleiche, wenn die Schmierblätter voll mit "schon wieder kleines Mädchen..." (brauche ich wohl nicht ausführen) sind. Es WIRD def. einen Unterschied bei beiden Erhebungen geben!!! Und das kann das Gefährliche sein. Politik darf nicht von Meinungen bzw. tagesaktuellen Geschehnissen abhängig sein!
Ok, möglicherweise verändert sich die Zustimmung in Umfragen von 15% (in ruhigen Zeiten) auf 40% oder mehr (in aufgeheitzter Stimmung). Auch über 50% sind in Umfragen denkbar.
Eine Umfrage wiederspiegelt aber nie den Volkswillen, wie er in einer Volksabstimmung zum Ausdruck kommt. Auch hier spielt das Trägheitsmoment.
Eine Änderung der Verfassung benötigt als Keim einen Missstand. Dies könnten die in der Presse breitgetretenen Verbrechen sein.
Aus dieser Stimmung heraus wird ein Komite gebildet, dass die Verfassungsänderung herbeiführen will.
Ein juristisch korrekter Antrag wird ausgearbeitet. Dieser wird eingereicht und auf Korrektheit geprüft.
Anschliessend kann die Unterschrifensammlung beginnen. Sie wird sicher 3-6 Monate dauern und von einer gewissen Medienpräsenz begleitet, in der erstmals auch Gegner zu Worte kommen.
Es wird erstmals über pro und Contra (z.B. der todesstrafe) diskutiert.
Nach Abschluss der Sammlung zeigt sich, ob und wie deutlich das Anligen in der Bevölkerung repräsentiert ist. Zu diesem Zeitpunkt sind mindestens 9-12 Monate vergangen.
Meinst Du, eine Untersschriftensammlung zur Einführung der Todesstrafe würde 12 Monate nach der Pressekampagne überhaupt die notwendigen Unterschriften (z.B. 3-5% der wahlberechtigten Bevölkerung) zusammen bringen?
Nehmen wir einmal an, die Unterschriftensammlung sei erfolgreich.
Das Medienecho wäre sicherlich sehr gross, die bisher unbeteiligte Bevökerung wird alarmiert und sensibilisiert.
Der Antrag zur Verfassungsänderung wird dem Parlament vorgelegt, mit der Möglichkeit einen Gegenvorschlag zu unterbreiten.
Dieser Vorgang wird sicher 1-3 Jahre dauern. Der Gegenvorschlag ermöglicht die weitere intensive Diskussion (im Pralament und den Medien) zu den Anliegen der Initative und des Volkes. Möglicherweise werden Teilanliegen in den Gegenvorschlag aufgenommen. (z.B. gewissenhafte Prüfung der Urlaube bei Kapitalverbrechern oder Triebtätern, Reduzierung der Frühentlassung, etc.)
Ist ein Gegenvorschlag, wenn überhaupt, verabschiedet, wird die Abstimmung auf die Agenda gesetzt. Die Volksabstimmung wird in 1-2 Jahren stattfinden.
Bis dahin organisiern sich die Komites (zwischenzeitlich haben sich natürlich auch Gegner-Komitees gebildet) und beschaffen das notwendige Geld für den Abstimmungskampf.
Ca. 3 Monate vor der Abstimmung wird das Thema wieder in den Medien angekocht, die Diskussion wird in den Medien, aber auch ggf. in Bürgerversammlungen stattfinden.
Seit dem ersten Aufkochen der Gefühle aufgrund der Schmuddelkampagnen in der Boulvardpresse sind nun 2-5 Jahre vergangen.
In der Zwischenzeit haben ausführliche Diskussionen auf gesellschaftlicher, politischer und juristischer Ebene stattgefunden.
Möglicherweise liegt ein Gegenvorschlag vor, der Teilanliegen der Intitanten aufnimmt.
Unter diesen Vorraussetzungen wird nun das Volk über die Verfassungsänderung abstimmen.
Glaubst Du wirklich, dass eine Intiative zur Einführung der Todesstrafe wirklich nur den Hauch einer Chance hat, mehr als 50% der Stimmen zu gewinnen?
Ich nicht, beim besten Willen nicht!
Für das Verhalten des Volkes gibt es nun eigentlich 3 (theoretisch 4) Möglichkeiten:
- Die Initiative (und ev. der Gegenvorschlag) wird angenommen. Das Volk findet aufgrund der ausführlichen Diskussion im Vorfeld, dass nur mit der Einführung der Todesstrafe die anstehenden Probleme gelöst werden können.
- Nur der Gegenvorschlag wird angenommen. Das Volk findet, dass der Status Quo unbefriedigend ist. Eine Veränderung in Richtung des Anligen der Initianten ist wünschenswert. Dies könnten z.B. die Verschärfung von Haftbedingungen für Triebtäter sein. Dies erachtet das Volk aber für durchaus ausreichend und verwirft die Einführung der Todestrafe.
- Weder Initative noch Gegenvorschlag wird angenommen. Das Volk betrachtet den Status Quo für ausreichend, es sieht keinen Handlungsbedarf.
Im Falle des Anliegens zur Einführung der Todesstrafe sehe ich nach aktueller Lage hier in Deutschland folgende möglichen Stimmanteile in der Abstimmung (meine persönliche Einschätzung):
20-30% werden die Intiative annehmen.
40-60% werden den Gegenvorschlag annehmen.
(Die Zahlen sind hier vor allem als Beispiele zu sehen, ich masse mir keine Allweisheit über den deutschen Volkswillen an. Trotzdem denke ich, in einigermassen realistischen Bandbreiten zu liegen).
Die Einführung der Todesstrafe hätte nicht den Hauch einer Chance, auch wenn Umfrageergebnisse zeitweilig (in aufgeheitzen Phasen) über 50% schiessen.
Je nach Ausgestaltung des Gegenvorschlags, der aktuellen Stimmungslage in der Bevölkerung und der vorrausgehenden Medienkampagne kann der Gegenvorschlag angenommen werden.
Zugegeben: Wenn in den 3 Monaten vor der Abstimmung ein oder mehrere grausame Verbrechen geschehen, wird dies natürlich ein Medienecho auslösen und die Stimmung beeinflussen.
Aber eine Mehrheit für das Extreme wird es nicht geben, hingegen vielleicht für den Gegenvorschlag.
Man bedenke wie Träge ein System wie die Volksabstimmung reagiert. Über kurzfristige Stimmungsmache (mit Emotionen, etc) sind sicher einige Prozente zu gewinnen. Mehrheiten (vor allem für extreme Anliegen) können damit nicht generiert werden.
Mehrheiten sind nur zu gewinnen, wenn Grundbedürfnisse und Grundängste der Bevölkerung tangiert werden. Also wenn es z.B. ums eigene Geld geht ;-)
Ich gebe ja zu, dass das geschilderte Modell der Volksabstimmung dem schweizerischen entspricht. Ich weiss nicht, in welche Richtung die Diskussion in Deutschland genau geht.
Nichtsdestotrotz glaube ich nicht daran, dass die direkte Demokratie gefährlich sein kann. Nie und Nimmer!
Das einzige was sie ist:
Sie ist träge!
In diesem Sinne
Grüsse
Tom