Hi,
ich fand den Link interessant, obwohl ich grundsätzlich skeptisch bin, was die ethische Argumentation angeht: Fraglich ist es aus meiner Sicht, ob überhaupt noch ein Standpunkt (re-)konstruierbar ist, der über den Perspektiven der Interessengruppen steht. Es scheint mir ein Zeichen der Zeit zu sein, dass sich die Ideologien in nicht mehr versöhnbare Einzelperspektiven aufzulösen scheinen.
das war frueher doch noch viel schlimmer.
Ich denke, dass die Problemlage (mehr oder weniger) klar ist und immer mehr akzeptiert wird:
- die Globalisierung ist da, mit der Folge, dass wir schon an unseren Aussengrenzen Laender mit wesentlich tieferem Lohnniveau haben
- wir haben 5 Millionen Arbeitslose
- davon wollen vielleicht 1 Million nicht arbeiten, weil es sich nicht lohnt
- davon arbeiten vielleicht 1 Million "nebenbei"
- wir haben eine Ueberreglementierung, also u.a. zu viele Gesetze, die z.B. auch rein ethische Fragen _regeln_
- wir haben einen grossen Umverteilungsapparat, der auch kostet
- unsere Systeme machen keinen ueberzeugenden Eindruck mehr, u.a. auch die Rentenversichrung, die auf dem Solidarprinzip beruht (die Jungen zahlen fuer die Alten)
- unsere Gesellschaft wird aelter, man lebt laenger und arbeitet eher weniger
- wir haben Immigration und haben (soweit ich weiss) keine allgemeine Steuerung dieser im Sinne, dass wir beispielsweise gezielt junge und qualifizierte Leute holen
(In Teilen mag der eine oder andere den einen oder anderen Punkt nicht als Teil der Problemlage betrachten.)
Ganz persönlich: Ich halte die heutige Debatte für extrem verlogen. Der Behauptung, dass durch Mehrarbeit Arbeitsplätze geschaffen würden, die den entstehenden Verlust an Bedarf nach Arbeitskräften mehr als ausgleichen würden, halte ich nicht nur für unwahrscheinlich, sondern auch für unwahrhaftig.
Es handelt sich um die Methode der Politik den unangenehmen Sachverhalt zu kommunizieren, dass die Arbeitnehmer mehr arbeiten muessen. Das ist einfach eine schlechte Nachricht, die krampfhaft mit einer positiven verbunden wird. Man fragt sich zudem, was am Arbeitsmarkt passieren koennte, wenn jetzt zum Beispiel noch trocken die 35 Stundenwoche durchgesetzt wird. Haetten wir dann 7 Millionen Arbeitslose, weil woanders (an den Deutschen Aussengrenzen gibt es Laender, wo wesentlich guenstiger produziert werden kann, aus diesem Grund gibt es auch in Ostdeutschland starke Abwanderungserscheinungen, weil es dort einfach keine Arbeit mehr gibt; ich glaube z.B., dass sich die Einwohnerschaft von Plauen in den letzten Jahren fast halbiert hat. Das ist dramatisch!) produziert wird?
Der Wunsch nach Gerechtigkeit bestimmt die Debatten nicht eine Sekunde lang, das sind nur Sonntagsreden.
Jeder versteht unter Gerechtigkeit etwas anderes. Gemeint ist, so sehe ich das, meist die Umverteilungsgerechtigkeit. Den Begriff Gerechtigkeit gebrauchend kann man nur sehr schwer diskutieren und Ergebnisse erzielen.
Die Zerstörung des bundesdeutschen Binnenmarktes ist aus meiner Sicht eine politische und unternehmerische Dummheit.
Du meinst die EU-Erweiterung?
Der Glaube, dass die Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen nur ausreichend drangsaliert werden müssten, wie ihn unter anderem der Sozialdemokrat Clement mit Verve vertritt, ist reines Wunschdenken. Ein großer Teil der Sozialhilfeabhängigen sind Kinder und alleinerziehende Mütter, hinzu kommen etwa Rentner und Arbeitslose, vor allem aus Ostdeutschland, die trotz vorheriger Berufstätigkeit so schlecht gestellt sind, dass die Arbeitslosenhilfe oder die Rente nicht zum Lebensunterhalt reichen.
Ich mache zudem auf ein grundsaetzliches Problem aufmerksam. Werden die Leistungsempfaenger ueppig bedient, dann gibt es immer mehr von ihnen. Werden sie schlecht bedient, dann haben wir bald die ersten Hungertoten.
Obwohl das Interview relativ lang ist, könnte ich trotz genauer Lektüre nicht sagen, welche Position der Autor zu diesen Fragen vertritt.
Der Mann ist Wissenschaftler, richtig Konkretes ist da erst einmal nicht zu erwarten. Das koennte er zwar liefern, aber er muss es der Politik ueberlassen ggf. nach Anerkennung der Richtigkeit seiner Analyse Massnahmen zu ergreifen.
Interessieren würde mich natürlich auch, was Du davon hältst!
Ein paar kleine Anmerkungen, von deren Brauchbarkeit ich halbwegs ueberzeugt bin, habe ich gerne beigefuegt.
Mich wuerde interessieren, welche Massnahmen Du ins Auge fassen wuerdest, wenn Du beispielsweise ein Mandat haettest.
Gruss,
Ludger