Mathias Bigge: Was ist hier los in Deutschland?

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Hi Orlando,

Ich habe einen Großteil des Zitats entfernt, da ich grundsätzlich deiner Meinung bin und lediglich jedwede Ausgestaltung des Sozialstaats an der Auslegung durch die Zielgruppe scheitert.

OK, es ist eine komplexe Debatte, bei der man Schwerpunkte setzen muss. Was ich aber anmerken möchte, ist, dass der Sozialstaat bei allem Gerede ein Erfolgsmodell ist. Alle, die sich eine Absicherung der Schwachen leisten könnten, und dies nicht un, zahlen dafür einen hohen Preis.

Du redest aus gesicherter Position mit dem Gefühl, dass der Leistungsempfänger stets die freie Wahl habe.
Ich durfte in einer guten Firma ein feindliche Übernahme miterleben und habe daraufhin den Job geschmissen. Ferner habe ich bereits einmal einen angeblich tollen Job angenommen, der mit dann überhaupt nicht zugesagt hat. Also weg damit. Auch wurde ich schon in einem Konzern herumgereicht, war Kurzzeitkunde beim Arbeitsamt, wurde dort allerdings wie ein Außerirdischer betrachtet. Vielleicht lag es an der Sprache. ;-)

So ähnliche Geschichten könnte ich auch erzählen und bin immer wieder auf die Füße gefallen. Tatsächlich haben wir beide eben gelernt, uns durchzubeißen und können zudem ein sozialen Hintergrund ins Feld führen. Aber für die Probleme, die wir hier diskutieren, sind wir wirklich "Außerirdische". Dass das Leben voller Krisen ist, auch wenn man beruflich halbwegs auf den Füßen steht, ist ebenfalls außer Frage.

Wofür ich um Dein Verständnis bitte, sind Leute, die von ihren Familien weniger Selbstbewusstsein und Bildung mit auf den Weg bekommen haben, oder für Leute, bei denen wirklich Pech im Spiel war, verschärft durch Alter und Krankheit. Ich kenne einige in meinem Alter, die wirklich gut sind, aber in ihrer Branche einfach nichts mehr bekommen. In der Werbung, auch im IT-Bereich und auch in der kaufmännischen Abteilung wird's mit 50 wirklich schwer.

Haben Leute, die finanziell in Not geraten, nicht die gleichen Rechte wie Du?
Natürlich. Sie unterliegen allerdings auch den selben Zwängen. Ich werde laufend in irgendeiner Form kontrolliert. Beim Autofahren, in der U-Bahn, von Kollegen, Vorgesetzten, vom Finanzamt usw. usf. Mit 16 wurde ich übrigens vornehmlich von meinen Eltern kontrolliert. Hätte damals meine Versorgung von einem Amt übernommen werden müssen, wäre auch das Recht auf Kontrolle teilweise auf dieses übergegangen. So schwer kann das doch nicht nachzuvollziehen sein.

Das sehe ich grundlegend anders. Bei den Kontrollen, die Du für Berufstätige nennst, gibt es eine Menge Schutzzonen, etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung, und tatsächlich wird de facto eben doch vieles nicht kontrolliert. Alle unterstellen hier, dass es um eine konkrete und vernünftige Kontrolle gegangen sei bei der Kleiderschrankkontrolle, warum eigentlich dieses tiefe Vertrauen in die Behörden? Es gibt Kontrollen, die sehr tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, etwa bei der eidesstattlichen Versicherung nach Konkurs. Hier ist aber eine gerichtliche Anordnung erforderlich, es wird durcheinen Richter überwacht. Nur bei den Armen sind die Rechte der Behörden aus meiner Sicht viel zu weitgehend. Da gibt es andere Kontrollfelder, bei denen wesentlich mehr zu holen wäre.
Bei uns gibt es keine Instanz, die die Kassenabrechnungen von Ärzten wirklich prüft, kleine Unternehmen werden aus Personalmangel de facto kaum noch steuerlich geprüft.

Gegen die Prüfung der Bedürftigkeit ist prinzipiell nicht einzuwenden,
Das muss auch so sein, denn es bestätigt sich immer wieder, dass der Mensch ohne Sanktionsandrohung eine gesellschaftliche Sau ist. Du aber gehst anscheinend von einer idealisierten Welt aus, in der alle vernünftig und demütig sind.

Nein, überhaupt nicht, aber ich fordere Respekt für Menschen in Not. Das ist für mich nicht das Gleiche. Warum kann man die Leistungsgesetze nicht so formulieren, dass erniedrigende Kontrollen nicht erforderlich sind? Ist das für die Politik überhaupt ein Aspekt?
Ein zentrales Beispiel ist für mich die Kontrolle von Partnerschaften. Wenn ich unverheiratet zusammenlebe, leiten sich daraus kaum Rechte gegenüber dem Staat oder Versorgungsansprüche gegenüber den Partner ab, da muss schon die traditionelle Ehe her. Warum soll das für Sozialempfänger nicht gelten? Dann wäre die Schnüffelei in den Betten sofort beendet.

es geht um Schnüffelei, die sehr massiv in Bereiche eingreift, die grundgesetzlich geschützt sind.
Es wird schließlich auch Hilfe in einem sehr intimen Bereich gefordert.

Nein, es geht lediglich um eine Geldsumme, die nach vereinbarten Maßstäben zum Überleben reicht. Dafür bedarf es keiner Durchsuchung von Kleiderschränken. Was soll das bringen außer Schikane? Die krummen Hunde wissen sich eh zu schützen und einzurichten.

Ist die 16-jährige Tochter kein vollwertiger Mensch, weil Pappi keine Kohle hat?
Ist die 16-jährige Tochter kein vollwertiger Mensch, weil sie abgetragene Kleidung trägt?

Da man in dem Alter noch wächst, dürfte es wohl nötig sein, ab und zu neue Sachen zu kaufen. Da die Leistungen für Kleidung eh in der Pauschale enthalten sind, dürfte auch kein wirklicher Grund für die Prüfungvorliegen, oder?

Es wurde Kleidung angefordert

Habe ich gar nicht gelesen im Ausgangsposting, meines Wissens kann man das gar nicht.

Natürlich erwarte ich mir von einem derart teuren System mehr als die jetzt gebotenen Leistungen und wennn ich könnte, würde ich natürlich keinen Pfennig in diese Mistsysteme einzahlen.
Wie sieht dein Gegenentwurf aus?

Das ist nicht in Kürze darzustellen. Ein paar Grundsätze:
1. Alle müssen Berufstätigen müssen einzahlen, auch Beamte, Selbständige und Großverdiener.
2. Keine sachfremden Leistungen durch Krankenkassen, Rententräger, Sozialversicherungen.
3. Klare Gesetze, die den Missbrauch und damit auch entwürdigende Kontrollen überflüssig machen.
4. Konkrete Initiativen für Ausbildung und Beschäftigung. Arbeitslosigkeit ist teuer, auch teure Maßnahmen können sich rechnen. Für die Unternehmen muss sich Ausbildung lohnen.
5. Gerechtere Leistungen für Arbeitslose, die lange in die Systeme eingezahlt haben. Die jetzige Leistung ist ein Hohn angesichts der Kosten.

Warum sind die denn derart uneffizient?
Ich vermute, es ist billiger, 1.000 Leute ineffizient zu beschäftigen als 1.000 Leute dem Sozialstaat zu überantworten. ;-)

Das ganze System ist auch eine gigantische und teure ABM. Die Arbeitsverwaltung ist eine der größten Bürokratien in Deutschland und ungeheuer ineffizient und teuer.

Das Recht auf Privatsphäre endet natürlich dort, wo ich privat nicht mehr in der Lage bin, mich ausreichend selbst zu versorgen.
Was ist daran "natürlich"? Selbst ein Krebskranker in der Klinik hat das Recht auf Privatsphäre, warum nicht, wenn er auf Staatskosten zu Hause versorgt wird?
Werde Krebskranke neuerdings bedarfskontrolliert?

Natürlich. 6 Wochen Lohnfortzahlung, eine Zeit Krankengeld, dann eine Rente nach Höhe der Beiträge und Alter. Schwere oder chronische Krankheiten sind ein typischer Weg in die Sozialsysteme.

Warum kann man eine Hausdurchsuchung bei einem jungen Mädchen machen, deren Eltern arbeitslos sind?
Das sagte ich doch bereits: Weil der Große Versorger™ das wenige Geld sinnvoll ausgeben möchte.

Wir werden sicher nicht auf einen Nenner kommen, das ist auch OK. Dein tiefes Vertrauen in die herrlichen Behörden irritiert mich aber doch...

Viele Grüße
Mathias Bigge

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