Moin Moin!
Ich habe es gerade mal getestet und komme ohne größere Anstrengung auf 380 Anschläge pro Minute im Zehnfingersystem.
Meiner Meinung nach ist diese Geschwindigkeit ohne das Zehnfingersystem auch nicht zu erreichen.
Ich bin mit zwei bis sechs Fingern zwar schneller als viele meiner Kollegen, aber sicherlich nicht so schnell wie Du. Ich merke immer wieder, dass mich die fehlende Bandbreite vom Gehirn zum Computer ausbremst.
Das Zehnfingersystem lernt man bei einem Schreibmaschinenkurs, eventuell an der Volkshochschule, als Schüler an Handelsschulen, aber es werden auch im Internet Kurse angeboten.
Man trainiert erst Sicherheit beim Buchstabenfinden, indem man die gleichen Buchstabenfolgen oder Worte immer wieder schreibt, ohne auf die Tasten zu sehen, dann trainiert man täglich, um Geschwindigkeit zu erreichen.
Ein halbes Jahr dürfte genügen, um wirklich sicher und schnell zu werden.
Aber genau dieses halbe Jahr stumpfsinnigen Übens hält mich davon ab, das Zehnfingersystem zu lernen. Auch wenn das Ergebnis bei Fließtext durchaus beeindruckend ist. Meine alte Tante hat dreißig oder vierzig Jahre professionell Schreibmaschine geschrieben, an deren Geschwindigkeit komme ich nicht einmal ansatzweise heran. Sie ist so trainiert, dass sie einen Text abtippen kann und sich nebenbei mit jemandem über ein völlig anderes Thema unterhalten kann, ohne dass das irgendeinen Einfluß auf die Fehlerrate oder Schreibgeschwindigkeit hat.
Ich sehe mich als Entwickler aber nicht so sehr als jemand, der den ganzen Tag möglichst viel (Programm-)Text in die Maschine hackt. Das ist aus meiner Sicht eher der Job des Programmierers ("Coder"), während ein Entwickler mehr die Planung übernimmt. Natürlich kann auch ein Mensch beide Jobs machen, und genau deswegen ist es vielen Laien auch schwer zu erklären, warum ein Entwickler mehr Kohle als ein Programmierer haben will, auch wenn er seltener am Rechner sitzt.
Lines of Code oder gar Zeichen/Worte pro Minute sind für beide Jobs keine wirklich brauchbaren Maße. Zeichen/Worte pro Minute, zusammen mit einer Fehlerquote, sind optimal für eine Tippse. Lines of Code sind nur dann sinnvoll, wenn es sehr exakte und sehr strikte Stil-Vorgaben für den Code gibt, denn erst dann lassen sich die Zahlen überhaupt vergleichen.
Ich habe in den letzten Jahren meine Aufträge stumpf in Funktionalitäten aufgeteilt und für jede einzelne Funktionalität (in aller Regel eine Funktion oder Methode) den zeitlichen Aufwand geschätzt. So summieren sich Stunden zu Tagen und Wochen. Dazu kommen dann noch "Katastrophenpuffer", um Fehleinschätzungen zu kompensieren. Daraus ergibt sich ein minimaler Aufwand (Puffer ungenutzt), ein maximaler Aufwand (Puffer voll ausgenutzt), und ein realistischer Aufwand (Puffer teilweise genutzt). Über Lines of Code wird nie geredet.
Natürlich muß man das Schätzen erstmal lernen, dabei können Lines of Code eine brauchbare Krücke sein. Mit der Zeit lernt man letztlich den Umrechnungsfaktor zwischen Bauchgefühl und Realität. Bei mir liegt der bei etwa 2,0 bis 2,5, d.h. meine "geheime" Schätzung liegt bei nur knapp 50% des echten Aufwands, demzufolge teile ich dem Kunden / Vorgesetzten eine Schätzung mit, die mehr als doppelt so groß ist wie meine "geheime" Schätzung. Und das funktioniert sehr gut.
Was die Katastrophenpuffer angeht: Die schreibt man nicht unbedingt direkt in den Kostenvoranschlag, genauso wenig wie den minimalen Aufwand:
La Forge: "I told the Captain I would have this diagnostic done in an hour."
Scotty: "And how long will it really take you?"
La Forge: "An hour!"
Scotty: "Oh, you didn't tell him how long it would really take, did you?"
La Forge: "Of course I did."
Scotty: "Oh, laddie, you have a lot to learn if you want people to think of you as a miracle worker."
(TNG: Relics)
Alexander
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Today I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than "I told you so".