Hallöle Christian!
Es geht hier überhaupt gar nicht darum, ob du Lehrer böse findest oder nicht, das ist irrelevant für diesen Teil der Argumentationskette, du gehst an der eigentlichen Aussage vorbei: es geht darum, dass du die Verantwortung für die Probleme unzulässig vereinfachst. Sie liegt eben nicht nur im System und schlechten Lehrern. Durchaus ist das ein Teil des Problems, aber nicht ausschließlich. Das ganze ist komplexer.
Sischer dat! Nichtsdestoweniger halte ich diejenigen, die die Systematik, die schon zu meiner Schulzeit wirkte, nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar noch verschärfen, für die Wurzel des Übels. Denn sie _hätten_ Berater, die ihnen beim Herbeiführen einer Verbesserung behilflich sein könnten. Wenn sie aber eine Verbesserung herbeiführen können und das nicht tun, dann werden sie Gründe dafür haben.
[…] Genauso ist es übrigens auch besonders einfach, das Versagen der eigenen Institution (Schule, an der man arbeitet) bzw. Person (man selbst als Lehrer) den Eltern der Schüler in die Schuhe zu schieben.
… und genau so eine unzulässige Vereinfachung, genau. Das Problem liegt eben, wie ich bereits mehrfach erwähnte, irgendwo dazwischen: klar sind die Lehrer schlecht ausgebildet und frustriert, klar ist unser Schulsystem eher mäßig, [...]
klar sind die Eltern grenzenlos überfordert und völlig hilflos.
[...] aber es ist eben nur eine Seite der Münze.
Und die andere? Ist das die Tatsache, dass Schulen, Lehrer und Eltern sich gegenseitig die Schuld zuschieben für eine Misere, in der Kinder stecken? Ist Hilflosigkeit, Mangel an Ausbildung, Überforderung, Ohnmächtigkeit ein valider Grund, so weiterzumachen wie bisher? Ist das ein Grund, letztlich in schöner Gemeinsamkeit die "Schuld" daran, dass immer mehr Schüler so schlecht ausgebildet aus der Schule kommen, dass die Ausbildungsbetriebe Nachhilfe für ihre Azubis organisieren, den Schülern anzulasten, was ja auch oft und gern passiert?
Oder wäre es jetzt nicht mal endlich an der Zeit, sich vom Schuldbegriff zu lösen, _allen_ Beteiligten (also den Lehrern, den Schulen, den Eltern UND den Schülern) einen grundsätzlich guten Willen zu unterstellen, sich die Situation genau anzusehen und endlich dieses marode System zu überarbeiten? Wäre es nicht mal an der Zeit, Geld in die Hand zu nehmen und
- die Schulgebäude zu renovieren
- die Schulen personell anständig auszustatten
- die Klassen deutlich kleiner zu machen
- die Lehrpläne gründlich zu überarbeiten
- ausreichend Lehrmaterial zur Verfügung zu stellen,
um Raum zu geben, so dass _jeder_ Schüler, auch der aus dem "schlimmen" Elternhaus, auch der "faule", auch der "dumme" Schüler, endlich so viel aus der Schule herausholen kann, wie es seinen Möglichkeiten entspricht? Und wäre es nicht endlich mal an der Zeit, anzuerkennen, dass zwischen Lehrern und Schülern eine Beziehung bestehen muß, dass der Schüler nun wirklich der Anerkennung durch den Lehrer bedarf? Dass auch eine gute Vier für einen Schüler eine Leistung bedeuten kann, die lobenswert ist, wenn er vorher nur Fünfen geschrieben hat?
[…] und genau das ist die Erziehung, die Eltern nicht leisten können.
Da haben wir einen unterschiedlichen Begriff von Erziehung. Genau das fällt für mich nicht darunter.
Oh doch, das ist Erziehung. Und es ist ebenfalls Erziehung, wenn man Schülern sagt, was richtig und was falsch sei - das ist die Aufgabe praktisch aller Lehrer. Es ist auch Erziehung, wenn man die Leistung eines so jungen Menschen beurteilt, denn damit vermittelt man diesem Menschen einen Eindruck von dem Wert, den man ihm beimißt. Das ist nicht zu unterschätzen!
Übrigens, zu deinem Sozial-Pädagogen: noch viel lächerlicher ist die Einführung eines Schul-Psychologen, an den man sich hilfesuchend wenden kann – wenn man denn ein 3/4 Jahr Zeit hat. Denn für diese Zeit ist der üblicherweise ausgebucht.
Allerdings.
Und: Ja, ich bin der Ansicht, dass die Schule neben dem Bildungsauftrag auch einen sozialen Erziehungsauftrag hat. Wäre das nicht so, könnten unsere Kinder zuhause bleiben und sich ihren Unterricht von einer DVD holen, dann bräuchte es nur noch Räume, in denen in regelmäßigen Abständen Leistungsüberprüfungen stattfinden könnten.
Lehren ist etwas, dass man lernen muss. Deshalb gibt es, unter anderem, Schulen.
Nein, dafür gibt es erstmal Universitäten.
Mal abgesehen davon, dass auch eine Universität eine Schule ist (nämlich eine Hochschule): ich wollte nicht auf die Ausbildung der Lehrer hinaus, sondern auf die Existenzberechtigung von Schulen.
Sicher muß ein deutlich größerer Teil der Lehrerausbildung in die Praxis verlagert werden und die kann natürlich nur in der Schule stattfinden, ganz klar. Aber ich denke, dass Schulen primär dafür da sein müssen, dass Menschen etwas lernen, nicht etwa dafür, dass die Lehrenden ausgebildet werden.
Das ist das Problem mit Erfahrungsschätzen: sie sind in höchstem Maße subjektiv. Was meinst du, wer sich an den Elternverband wendet? $Eltern, denen die Schulzeit der Sprösslinge egal ist? Wohl kaum.
Eventuell hilft es dir, dich mit der Arbeit dieser Verbände zu beschäftigen. Ein Elternverband, egal in welchem Bundesland, wäre vermutlich ein armseliger Haufen, wenn er sich hinsetzte und wartete, bis die Eltern zu ihm kommen. Erschwerend hinzu kommt, dass die meisten Mitglieder solcher Verbände in Elternbeiräten und Schulfördervereinen sitzen, was bedeutet, dass man da schon mal aktiv auf Eltern zugehen muss. Ich fürchte, du verstehst mich hier falsch: Ich stelle nicht in Abrede, dass es Eltern gibt, denen die Schulzeit ihrer Sprößlinge egal ist. Sicher gibt es die. Es gibt aber auch einen ganzen Haufen Eltern, die einfach aufgegeben haben. Die einfach nicht mehr an Elternabenden teilnehmen wollen, weil die dort erzielten Ergebnisse einfach niederschmetternd sind. Die keine Sprechstunden und keine der zweimal jährlich stattfindenden Elternsprechtage mehr besuchen wollen, weil sie es leid sind, sich anzuhören, wie problematisch ihr Kind ist, ohne dass ihnen irgendwelche vernünftige, konkrete Hilfestellung an die Hand gegeben wird, damit sie vielleicht in die Lage versetzt werden, dafür zu sorgen, dass ihr Kind weniger "problematisch" werde. Und dieses Verhalten wird gern mal uminterpretiert in "die Eltern kümmern sich ja um nichts".
Was ich sagen will: es ist schlicht und ergreifend ein enorm starker Filter, der vor deine Erfahrungen gesetzt wird.
Das glaube ich nun nicht. Wirklich nicht.
Nicht alles, was man weiß, muß auch statistisch erfaßt worden sein.
Alles, was man weiß, muss belegbar sein. Ansonsten weiß man es nicht, sondern glaubt es nur zu wissen. Und der Glaube ist eher das Metier der Kirche.
Ja, aber eine Statistik ist nur _eine_ Form des Beleges. Und wie leicht Statistiken so zu manipulieren sind, dass sie das Ergebnis zeitigen, das man sehen möchte, müßtest du ja wirklich wissen.
Ha, da kommen wir doch einander wieder näher: richtig. Es ist die Mischung, die es macht.
Es ist sehr viel mangelhaftes Kommunikationsverhalten im Spiel und sehr, sehr viel Angst.
[…] Es war wirklich interessant, zu hören, wie gerade Schulvertreter sich über Eltern geäußert haben, man sollte meinen, die deutschen Eltern lassen ihre Kinder vollkommen verwahrlosen und geben ihnen nur das, was dringend notwendig ist.
Meinst du nicht, dass, wenn das so enorm viele Leute sagen, da auch ein Körnchen Wahres dran sein könnte? Sei mir nicht böse, aber durch die Erfahrungen mit deinen Kindern halte ich dich nicht gerade für objektiv.
Diese "enorm vielen" Leute werden samt und sonders zu wilden Tieren, wenn irgendjemand ihre Kinder "faul" nennt, was wollen wir wetten? Sie sind ebenso viel oder wenig objektiv wie ich.
Was ich ja anläßlich dieses Anlasses äußerst interessant fand: Ich habe mich dann ja auch mal zu Worte gemeldet, denn ich fand es, ehrlich gesagt, nicht witzig, dass die Diskussion in eine Art Elternbashing ausartete ("die Schulen tun ja, was sie können, aber die Eltern ziehen ja nicht mit, denen ist ja die Zukunft ihrer Kinder egal..."). Ich habe mir erlaubt, die Diskussionsrunde darauf aufmerksam zu machen, dass Eltern sich unter Zusammenarbeit mit der Schule doch etwas mehr vorstellten, als das reine Unterschreiben von irgendwelchen Mitteilungen, die üblicherweise mit den Worten "bitte wirken Sie auf Ihr Kind ein" enden. Dass Eltern schon ganz gerne ein Stück konkrete Unterstützung hätten, aber leider außer der Kritik am Kind und der ausführlichen Schilderung der Situation der Lehrenden selten mal wirklich ein Ratschlag kommt... habe ich ja im Verlauf unserer Diskussion schon ein paarmal gesagt. Ja, danach war erstmal Schweigen und dann meinte irgendjemand, da hätte ich ja auch irgendwo recht. *hüstlhüstl*
Nicht, dass ich mich für objektiv halten würde.
Nö, ich meine auch zu wissen, warum.
Ich gebe dir mal einen Lesetip: „Generation Doof.” Das Buch ist polemisch und unwissenschaftlich, aber es gibt einem Denkanstöße, die nötig sind, um die Mauer einzureißen, die einem der eigene Verstand aufbaut.
Naja, ein paar Lesetipps habe ich ja schon gegeben. Das schärfste, was ich in letzter Zeit zu lesen bekommen habe, ist "Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden". Kannst du dir auch zu Gemüte führen. So richtig explodiert bin ich erst ganz am Schluß: Als der Kerl dann seine Kritik an Eltern, Erziehern und teils auch den Kindern so richtig gleichmäßig verteilt und ein wirklich düsteres, übles Zukunftsbild gemalt hatte, kam dann der Hinweis, dass die Lösungsvorschläge im Fortsetzungsband unterbreitet werden. Ja, nee, is klar. ;o)
Sicher; beurteilen, was da am geeignetsten ist, um einem Schüler aus einer mißlichen Lage zu helfen, sollten aber bitteschön die Lehrer können, denn das sollten die Profis sein.
Ja, das ist richtig, ist aber nicht die selbe Aussage wie ursprünglich ;)
War aber das, was ich gemeint hatte. Kommunikationsknoten?
File Griese,
Stonie
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It's no good you trying to sit on the fence
And hope that the trouble will pass
'Cause sitting on fences can make you a pain in the ass.
Und im Übrigen
kennt auch Stonie Wayne.