Stephan Huber: Was sind Nazi-Methoden?

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Hi Bio,

Nachträgliche Entschuldigungen gelten für gewöhnlich nicht sofort, wenn man aus der ursprünglichen Aussage eine Haltung ableiten kann, die nicht tolerierbar ist. Oder: manchmal ist: "tut mir leid" einfach ein bißchen zu wenig, um die vorherige Äußerung einfach auszulöschen.

Es kommt darauf an, wie nachtragend die Gegenseite ist.

Nicht nur, es kommt auch darauf an, ob man aufgrund des Gesamtbildes einer Person der Meinung ist, daß die Entschuldigung aufrichtig ist, d.h. daß der Betreffende eingesehen hat, daß er einen Fehler gemacht hat. Daß ein Politiker eine kontroverse Äußerung zurückzieht, hat mit einem solchen Eingeständnis wenig zu tun. Schließlich besteht das Problem mit Karzlis Äußerungen ja nicht unbedingt nur in der Verwendung des Wortes "Nazimethoden", sondern auch darin, daß er die "zionistische Lobby" verantwortlich gemacht hat, und mir ist wirklich unwohl, wenn jemand, der solche Verschwörungstheorien, die Anfang des Jahrhunderts recht beliebt waren ("Die Weisen von Zion"), in seiner Argumentation gebraucht, ein politisches Amt inne hat. Ich bevorzuge rational denkende Volksvertreter.

Und ich finde es unangebracht, einen grösseren "moralischen Unterschied" konstruieren zu wollen zwischen "Wir wollen alle Menschen der Gruppe A auslöschen" und "Wir wollen das Land B, und während wir uns das unter den Nagel reissen, löschen wir alle Menschen der Gruppe C aus, die im Weg sind".

Der Unterschied besteht darin, daß in letzteren Fall die Menschen noch als Menschen gesehen werden, und Ihre Vernichtung nicht das Ziel ist - die USA hatten nie das Ziel, die vietnamesische Bevölkerung auszulöschen. Die Nazis dagegen haben versucht, die jüdische Bevölkerung zu vernichten, weil sie sie nicht als Menschen angesehen haben, die ihnen ebenbürtig sind.
Wenn die Israelis "Nazimethoden" angewandt hätten, dann würde sich heute in Jenin nicht mehr die Frage stellen, ob man eine UN-Kommision dorthin schicken sollte, weil dort keiner überlebt hätte.

Ich glaube, das Wort "Nazi" hat in der Sprache längst auch die Funktion einer Art extrem stark negativen Vorsilbe, die bezeichnet, daß man etwas als besonders verdammenswert kennzeichnen will. Ist es nicht so?

Wenn dem so ist, dann ist das eine ziemliche Sprachverwirrung. Es ist einfach ein falsches, und das Ausmaß des Grauens herabsetzendes Verständnis, den Nationalsozialismus einfach als eine besonders grausame Diktatur zu definieren. Wenn dem so wäre, gäbe es wirklich genügend historische Vorläufer. Die technokratische Perfektion der Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe aus ideologischen Gründen, wie sie die Nationalsozialisten durchgeführt haben, hat einen anderen Charakter.
Deswegen reagieren auch so viele (mich eingeschlossen) auf so einen Vergleich allergisch, weil er immer die Relativierung des Nationalsozialismus auf die Stufe einer gewöhlichen Diktatur impliziert.

Ist es nicht ganz im Gegenteil unsere Pflicht, und das, was wir aus der Vergangenheit gelernt haben sollten, daß man nicht schweigen darf, wenn Unrecht geschieht, unabhängig von der politischen Richtung, der man sich zugehörig fühlt?

Ja, ist es, und es wird auch keiner abgestraft, der sinnvoll Kritik übt. Schließlich hat auch Kofi Annan angesichts des israelischen Vorgehens ab und zu seine diplomatische Zurückhaltung vergessen, und es ruft keiner nach seinem Rücktritt. Er hat aber auch nicht den  Israelis Methoden einer politischen Bewegung vorgeworfen, die verantwortlich dafür ist, daß die jüdische Kultur in Mitteleuropa so gut wie ausgelöscht worden ist, sondern einfach und vernünftig gesagt, daß der israelische Staat die UN-Resolutionen einhalten muß.

Ob die Judenverfolgung 1933-1945 in Deutschland ein Beweis dafür ist, daß Juden nur in Israel sicher sind, wage ich einfach mal rein beweistheoretisch und, wenn ich an die vielen Länder, in denen es nie eine Judenverfolgung gab, denke, auch empirisch zu bezweifeln. Mal ganz abgesehen davon, daß das Risiko, einen unnatürlichen Tod zu sterben, in Israel wahrscheinlich tragischerweise höher ist als in Deutschland.

Die Juden waren seit dem Mittelalter immer der Sündenbock. Mir fällt deswegen in Mitteleuropa auch kein Land ein, in dem es nicht Progrome gegeben hätte, oder wo die Juden einen besonderen Schutz der Bevölkerung erfahren haben, als die Nazis das Land besetzten - es gab überall genügend willige Kollaborateure. Es geht nicht um das statistische Risiko, zu sterben, sondern um das Risiko, als Glaubensgemeinschaft verfolgt zu werden, und wenn man sich die Geschichte seit dem Mittelalter anschaut, ist es durchaus plausibel, anzunehmen, daß die Juden nicht vor systematischer Verfolgung sicher sind, wenn sie in einem Staat leben, der von der westlich-christlichen "Leitkultur" geprägt ist.

Viele Grüße
Stephan

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