Cybaer: Computergeschichte

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Hi,

Aus meiner Sicht war der ST damals etwas für Freaks, die meinten, sie müssten was anderes, was Besseres haben.

Aus meiner Sicht halt nicht. Ich *war* ein Freak (bzw. bin es immer noch: ich programmiere meine Anwendungssoftware auch heute noch lieber selbst), kannte (sehr) viele Freaks, die so ziemlich alle mit Begeisterung zum ST gewechselt sind, wo neue Freaks (insbesondere vom C64, aber auch vom Apple II sowie generell "Frischlinge") hinzukamen (insbes. auch das Anwachsen der Hackerkultur und hier das schlichte darüber froh sein, über die vergleichsweise riesige Rechenpower, die man plötzlich unterm Arsch hatte, bei einem Computer, der auch noch ein perfektes Terminal abgab), *plus* noch die User, denen man auch einen Mac zur Nutzung hätte hinstellen können, wenn sie a) gewußt hätten, daß es so etwas einfach zu bedienendes gibt, b) ihn hätten bezahlen können oder wollen und c) es die tolle Software für ihn (auf Deutsch und überhaupt und dann noch bezahlbar) gegeben hätte, die dann die Freaks geschrieben haben. Z.B. die Midi-Software Cubase für "alte Hasen" wie Mike Oldfield bis zu jedweder aufstrebende "Heimband" wie Fanta4 (lebt jetzt noch auf Mac und Windows, aber der ganze Techno-Boom entstand überhaupt erst mit dem ST und Midi!), DTP Calamus mit Belichtungsservices im ganzen Land (zu goldenen Zeiten wurden damit komplette Publikums-Zeitungen und -Zeitschriften gesetzt - es endete, nach dem Verkauf der Firma an Amis, als Shareware unter Windows), Textprogramm Signum (mit dem in Deutschland *immens* viel gedruckt wurde, was nach mehr aussehen sollte, als die (Druck-)Hardware gekostet hat: von den Speisekarten der Restaurants, über Diplomarbeiten bis hin zum Arbeitsmaterial, das die Lehrer an ihre Schüler verteilten), Programmiersprache GfA-Basic (das einen Boom an Anwendungs-Software - insbes. im Shareware-Bereich - zur Folge hatte, sich auch als "Allzweckwaffe" in der Großindustrie - insbes. Luft- & Raumfahrtindustrie - erwies, was Portierungen u.a. nach Windows und Unix nach sich zog), ein unscheinbares Textverarbeitungsprogramm, was, aufgekauft und nach Irrungen und Wirrungen, heute also "OpenOffice" bekannt ist, und, und, und ...

So könnte ich stundenlang erzählen. Du kannst froh sein, daß Du nicht mein Enkel bist! >;->

Und dann saßen sie da mit ihren Ataris und wussten nicht so recht, was sie damit anstellen sollten.

Meine Bekannten wußten das. Und wußten sie es nicht, dann wußten sie es bald. ;-)

auf dem 64er hätte ich ein Programm, das dasselbe leistete, in zwei Stunden in Assembler geschrieben (und es wäre flexibler gewesen).

Turbo-Pascal war damals aber allgemein sehr hip. ;-) Und Delphi wird ja heute noch gerne verwendet. :) Aber der eigentliche Punkt ist: Mit 4 MByte RAM, 32-Bit und 8 MHz konntest Du vergleichsweise erstmal entwickeln, wie Du lustig bist (erst recht in Assember!)! Das hat einen enormen Schub gebracht! IMHO: Welcher Maler möchte sich schon mit einem Wassermalkasten wie aus der Schule herumschlagen? Sicher, Picasso hätte auch damit tolle Sachen gemacht, aber auf einmal hatte man *viel mehr* Möglichkeiten, seine Phantasien überhaupt zu verwirklichen!

Und das gilt *auch* für Hardwarebastler, zumal der ST im Maschinenbau sehr dominant war (inkl. eigenem Echtzeit(!)-/Multitasking-OS RTOS PEARL).

Und fertige Software verwenden? Nööö, nur für Fälle, wo es nicht anders ging. Wo bleibt denn da der Reiz?

Du siehst: Der ST hat mit seinen Möglichkeiten und seine vielfältigen Entwickungsumgebungen (x-verschiedene Betriebssysteme - auf den ST-Nachfolgern TT und Falcon neben UNIX V u.a. auch ein Posix-konformes OS als Standard-OS(!) mit präemptiven Multitasking, als MS und Apple noch von solcher Technik höchstens träumten - sowie einer immens großen Sprachvielfalt: von Turbo-C über Modula bis zu Eiffel und Smalltalk) die Reize nicht nur nicht gehemmt, er hat sie *explodieren* lassen.

Es tut mir echt leid, daß das an dir vorbeigegangen ist! Wow, das war ein echt geiler Trip! 8-))) Hatte was von Urknall! :-o

Der ST war dagegen eher ein im technischen Sinn "unkreatives" Gerät, sag ich mal abwertend, er war mehr auf die "Anwender" zugeschnitten, die mit einem Computer etwas Produktives leisten wollten.

Ja, das konnte er sein. Aber dazu mußte er erst werden, da es ja anfangs faktisch keine (wirklich brauchbare) Software für ihn gab. Und glaub mir: Ich habe in meinen 25 Jahren EDV nie wieder eine solche Explosion an Kreativität erlebt, wie mit dem "Erwachen" der Computerei dank des Atari STs. Vorher nicht, hinterher nicht. Allerhöchstens die Explosion des WWWs - aber das ist mehr eine informationelle als eine progammiertechnische Explosion gewesen.

Das war für uns damals absolut kein Thema, und deswegen konnten die Ataris bei uns Technik-Freaks auch nicht so recht ankommen.

Schon erstaunlich.

Wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, dass es auch für den C64 hervorragende Anwendungssoftware gab.

Ja ja, keine Frage.

Komm jetzt aber nicht noch mit dem "GEM-Clone" GEOS aus der Gruft! ;-)

Naja, aber der Vergleich ist gut: Auch der Käfer ist... naja, einfach, aber zweckmäßig, nur muss man eine gewisse Liebe zur Technik und eine Bereitschaft zum Basteln mitbringen.

Ein "Golf GTI"-Fahrer bastelt halt ggf. auch - aber auf anderer Basis. ;-)

Hmm, ich weiß nicht. Ein Golf ist und bleibt eben doch bloß ein VW. :-(

Ein Phaeton auch. ;-)

Sind aber halt alles Autos. ;-)

Ich werde den Eindruck nicht los, dass wir von grundlegend verschiedenen Computer-Nutzern reden. Du hast offensichtlich die _Anwender_ im Sinn, während es mir - damals wie heute - mehr um diejenigen geht, die den Computer als technische Herausforderung sehen.

S.o. - die schließe ich glatt mit ein! :-)

Und nebenbei bemerkt: Die Leute brauchen wir, denn ohne die gäbe es kaum innovative Software oder ausgefallene Hardware-Ideen.

Ach, weißt Du: Ich habe in meinen 10 Jahren Webdesign mit so vielen tollen, fähigen ITlern jedweden Bereichs zu tun gehabt. Und *sehr* viele haben mal angefangen mit C64, Apple II oder Atari 400/800/XL. Aber die allermeisten sagten: So richtig ging es mit dem ST los. :) Bei dem haben sich fastalle getroffen.

Und beim ST habe ich Freaks kennengelernt, ...

Unvergessen z.B. wie jemand zum Maus-Treffen (in eine Kneipe) kam, und sagte, mein ST ist jetzt DOS-kompatibel - und Windows läuft auch. Platine mit x86-kompatibler CPU von NEC auf den 68000er gelötet, Win 3.x gestartet, lief. Wir waren ob dieser Weltpremiere schier aus dem Häuschen (wurde auch ein kommerzieller Erfolg, später sogar steckbar). Oder der Amerikaner, der einen Mac-Emulator schrieb und eine Hardware baute, die orignal Apple-Disks nutzbar machte. Und, und, und ...

Auch im Bereich Hardware könnte ich stundenlang erzählen ... ;-)

Reine User, wie du sie anscheinend verstehst, gab es beim 64er doch kaum.

Ich denke da an die *vielen* User, die mit dem C64 i ersterLnie gespielt haben (hallo Freunde von "Tanja" ;-)).

Dacor! So sehe ich das auch - und also war der 80286 *niemals* "modern". Zu keiner Zeit. 8-)
Hm? Zu einer Zeit, als die PC-Welt vom 8086 mit maximal 1MB Adressraum beherrscht wurde? Da war der 286er mit seinen 16MB und Taktfrequenzen in schwindelerregenden Höhen von zunächst 12, später bis zu 20MHz doch ein gewaltiger Schritt vorwärts, und damit supermodern.

Ja, in der Intel-Welt! Aber Motorolas 68000er-Linie war der x86-Linie vom Design (und der Leistung) her *um Längen* voraus. Die Motorols waren "modern". Die x86er waren ein "Gefrickel" - und sind es bis heute geblieben (näheres zum A20-Gate wird sich bestimmt auch noch in der c't des Jahres 2020 wiederfinden >;->).

Gruß, Cybaer

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