Moin!
Sowas bekam ich dann noch 2, 3 Mal von anderen Usern, denen ich dann sowas in der Art wieder zurückgeschickt habe, und seitdem kapieren es die User auf meiner Liste endlich.
Es ist wirklich eine Frage der von informierten Stellen (beispielsweise dem CCC) immer wieder geforderten "Medienkompetenz".
Die Leute können mit dem Medium Internet einfach noch nicht umgehen.
Betrachten wir doch einfach mal die geschichtliche Entwicklung. Ganz früher gab es nur mündliche Berichte. Jemand reiste durch die Lande, hörte einerorts eine Geschichte, und erzählte sie andernorts weiter. Daraus entstanden teilweise die tollsten Legenden - Baron von Münchhausen läßt grüßen.
Dann kamen die ersten Medien auf: Bücher. Da wurden die Geschichten dann aufgeschrieben, und weil jedermann sie immer wieder in dieser Form nachlesen konnte, war ein menschlicher Faktor ausgeschaltet, der die Geschichte im Laufe der Zeit verändern konnte. Die Geschichten wurden also "echter".
Aus Büchern wurden Zeitungen. Und mit ihnen entstand eine Berufswelt, die sich ausschließlich mit dem Recherchieren von Wahrheiten befasste, um sie in der Zeitung zu berichten. Einem unaufgeklärten Menschen erscheinen die Artikel jedenfalls als Wahrheit. Man merkt sich also: Bei der Zeitung, da arbeiten Profis. Die schreiben, was wahr ist.
Als weitere, noch schnellere Medien kommen Radio und Fernsehen hinzu. Diese beiden benötigen zu ihrer Entstehung einen noch höheren technischen Aufwand, so dass die Professionalität noch stärker gefordert ist. Außerdem gibt es im Radio und noch stärker im Fernsehen natürlich nicht nur die Geschichten, sondern sogar noch handfeste Beweise für ihre Wahrheit: Die sogenannten O-Töne und Bilder vom Geschehen. Wenn es im Fernsehen gezeigt wird, dann ist es tatsächlich so passiert.
Natürlich stimmt obige Darstellung natürlich absolut nicht (vgl. auch meine Signatur). Sicher gibt es unter den bei Medien arbeitenden Menschen auch solche, die hinter der Wahrheit hinterher sind, aber primär sind zumindest deren Chefs hinter dem Geschäft her. Und es hat ja auch immer wieder Medienskandale gegeben - da ist dann das System besonders dummdreist vorgegangen und hat sich in der Tat verkalkuliert. Beispiele gefällig? Der Stern und die Hitler-Tagebücher, die BILD und "Karl Lagerfeld wirft Rollstuhlfahrer aus der ersten Flugzeugklasse" - nur die Spitze des Eisberges. Die Medien verbreiten tatsächlich nicht die Wahrheit, sondern Geschichten, die sich gut verkaufen lassen, weil die Menschen sie lesen, hören, sehen wollen. Es wird also immer manipuliert und eine Story so hingedreht, dass sie gut ins Bild passt - vollkommen unabhängig von den zugrundeliegenden Fakten. Das wissen viele Menschen aber nicht, oder wollen es nicht wissen. Die glauben an den einen Satz: "Was in der Zeitung steht oder in Radio und Fernsehen kommt, ist die Wahrheit... meistens. Deshalb glaube ich es."
Und nun kommt das Internet ins Spiel. Das Internet ermöglich es erstmals für wirklich jedermann, mit einem Minimum an Aufwand weltweit zu publizieren, was _er_ für die Wahrheit hält. Da das Internet aber ein hauptsächlich textliches Medium ist, erscheint es wie eine Zeitung. Sollte Sound oder Video hinzukommen, ist es Radio oder Fernsehen. Und die Menschen haben gelernt: "Was in der Zeitung steht oder in Radio und Fernsehen kommt, ist die Wahrheit. Deshalb glaube ich es." Dabei wird vergessen, dass erstens im Internet viel weniger Profis agieren, bzw. dass zusätzlich zu den Profis auch ganz viele Amateure agieren, dass zweitens im Internet (wie auch in den klassischen Medien) nicht immer die Wahrheit gesucht wird, sondern dass es beispielsweise Interessengruppen gibt, die versuchen, die Meinung von Einzelnen zu manipulieren, um bei genügend Breitenwirkung dann die sogenannte "öffentliche Meinung" in ihrem Sinne abzuändern, und dass drittens (die Liste ist nicht abschließend) die verfügbaren Quellen keinesfalls immer die Glaubwürdigkeit haben, die man vermutet, und nicht das Vertrauen verdienen, die ihnen entgegengebracht wird.
Ein typisches Beispiel in Hoax-Mails ist ja, dass den Menschen suggeriert wird, offiziell anerkannte Experten hätten eine Aussage getroffen. In einer Mail wird beispielsweise behauptet, "Microsoft hat am Donnerstag vor diesem Virus gewarnt, und AOL hat gesagt, er sei die schlimmste Bedrohung seit anno dazumal". Dadurch tritt folgendes Phänomen auf: Erstens kommt die Mail typischerweise von jemandem, den man kennt. Das baut Vertrauen auf, denn derjenige wird schon keinen Müll erzählen. Zweitens haben anerkanntermaßen bekannte und vertrauenswürdige Institutionen sich zu dem Problem geäußert und gewarnt - also scheint es schlimm zu sein. Drittens will man natürlich niemanden blind in sein Unglück laufen lassen - lieber einmal zuviel eine Falschmeldung weiterleiten, als einmal zuwenig eine echte Warnung.
Wo ist der Haken? Ganz klar: Der Empfänger der Nachricht weiß gar nicht, ob Microsoft oder AOL vor dem Problem gewarnt haben - er liest nur die Behauptung, es sei so, und zusammen mit den anderen Faktoren _glaubt_ er dann, es sei wahr, und handelt entsprechend.
Die Menschen sind also einfach nicht medienkompetent für das Internet. Das wird wahrscheinlich auch noch eine ganz lange Zeit so bleiben - sofern nicht in den Schulen das Internet und die Medienkompetenz Bestandteil des Unterrichts werden.
Grob zusammengefaßt:
- Mißtraue erst einmal allem. Nur weil der Bildschirm es schwarz auf weiß anzeigt, ist es deshalb noch lange nicht wahr.
- Welche Fakten sind gegeben? Sind diese Fakten durch andere Quellen belegbar (und damit ist nicht das vermeintliche Zitat von "Microsoft hat gesagt" gemeint, das in derselben Nachricht steht)?
- Macht das Gesagte Sinn? Gerne wird zur Verschleierung irgendein Technobubble eingeschoben ("destroys your CPU by putting it into an n-th infinity loop"), oder stark simplifiziert ("the reason is rather technical, but you have to believe me: It is BAD!"). Was aber, wenn man die Sinnfrage wirklich mal nicht beantworten kann. Bei Hoaxes widerspricht sich der Text gerne selbst, sobald man ihn nur einfach mal ganz simpel analysiert und die einzelnen Fakten auflistet. So ein Glück muss man aber nicht haben - diverse wissenschaftliche Betrugsskandale beweisen: Man muss ein Thema nur kompliziert genug wählen, und schon kommen nicht mal mehr ausgewiesene und anerkannte Experten des Fachgebiets mit und finden die Fehler. Was also, wenn man selbst nichts von dem Geschriebenen versteht, aber scheinbar der Weltuntergang bevorsteht? James Bond, Superman oder Captain Kirk anrufen, oder lieber nichts tun?
Bleibt zum Schluß nur noch ein Punkt: Die menschliche Dummheit. Solange niemand weiß, welchen Schaden er durch Weiterleitung einer Falschmeldung anrichtet, solange werden Menschen versuchen, lieber auf der "sicheren Seite" zu bleiben und die Meldung weiterleiten, anstatt sich möglicherweise an einer Schädingung dritter schuldig zu machen, die man nicht gewarnt hat. Aber da wird man reden und reden und reden können - einige kapieren es wohl nie, solange man das Mailverhalten nicht in wenigen Regeln zusammenfaßt:
Meine Version:
1. Leite keine Mail weiter.
2. Leite keine Mail weiter, die du nicht verstehst, die aber die Weiterleitung von dir verlangt.
3. Leite keine Mail weiter.
4. Leite keine Mail, von deren Sinn du nicht absolut 100% überzeugt bist, nur auf Verdacht weiter, weil sie ja vielleicht doch stimmen könnte.
5. Leite keine Mail weiter.
6. Leite keine Mail weiter.
Ach ja: Empfehlenswert zu diesem Thema ist Chaosradio 75 (http://chaosradio.ccc.de/cr75.html) mit einer schönen, sehr philsophischen (dreistündigen) Sendung zum Thema Wahrheit. Sie ist in verschiedenen, heftig großen Dateien (Minimum 157 MB) als MP2, MP3 und Ogg Vorbis zum Download erhältlich unter ftp://ftp.ccc.de/chaosradio/cr75/.
- Sven Rautenberg
"Bei einer Geschichte gibt es immer vier Seiten: Deine Seite, ihre Seite, die Wahrheit und das, was wirklich passiert ist." (Rousseau)