Mathias Bigge: big@boss.com, oder Einstein hatte so recht.

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Hi Sven,

vielleicht kann man tatsächlich immer noch versuchen, die madiale Wirklichkeit unter den Kriterien "Macht" und "Manipulation" zu verschleiern, es passt zudem gut in eine Welt, in der man hinter allem geheime Pläne und Strategien vermutet, die der Masse nicht aufgedeckt werden.

Was ich für problematisch halte, ist der Begriff "Manipulation", der unterstellt, als würde in den Medien die Wirklichkeit gezielt verfälscht, um bei den Zuschauern bestimmte Effekte zu erzielen.

So ist es aber - davon bin ich zumindest überzeugt. Wenn auch häufig mit den besten Absichten.

Hm, wie kann ich versuchen, den Erklärungsansatz "Manipulation" überzeugend in Frage zu stellen, ohne in Diskursmodelle, Kommunikationsgeflecht und Regelwerke der Medienproduktion auszuufern?
Es steckt eine Reihe von Grundannahmen in der Manipulationstheorie:
1. Es gibt eine Wirklichkeit, die man wahr und wahrhaftig abbilden könnte.
2. Es gibt einen Komplex von Wissen und Macht, der aus einem ganz anderen Horizont als die Konsumenten diese Wirklichkeit verfälscht und dadurch ihre Ziele durchsetzt.
3. Dieser Komplex wird beherrscht durch ökonomische und machtpolitische Interessen.

Tatsächlich verfügen natürlich Bush und seine Militärs über andere Informationen als der Fernsehjournalist, wahrscheinlich beruhen ihre Aktionen auch auf anderen Wirklichkeitskonstruktionen als die der Medienleute. Hinzu kommt, dass die Machtpolitiker gleichzeitig in gewisser Weise auf die internationalen Medienbetriebe und -instituionen angewiesen sind, d.h. sie müssen ihre Sicht der Welt medial vermitteln, ihr Macht einem Diskurs ausliefern, den sie nicht direkt kontrollieren können. Gleichzeitig unterliegt die mediale Produktion bestimmten eigenen Regeln und Gesetzen, die nicht nur, ich meine nicht einmal in erster Linie der Abbildung von Wirklichkeit verpflichtet sind, wenn es überhaupt noch eine rekonstruierbare Wirklichkeit außerhalb der Diskurse gibt.

Wie kann man nun diese komplexe Realität treffend analysieren, welche Modelle bieten bessere Analyseinstrumentarien als das Paradigma "Manipulation"? Es gibt dazu verschiedene Ansätze, etwa diskurstheoretische und andere medienwissenschaftliche Ansätze, die davon ausgehen, dass es bestimmte Regeln gibt, denen der Diskurs unterliegt, dass es zwar verschiedene Positionen innerhalb dieser geregelten Art gibt, über die Wirklichkeit zu sprechen, nicht aber eine klare Kontrollposition, deren Wissen der Abbildung der Realität sehr nahe kommt, von der aus bewusst und manipulativ Ziele verfolgt werden, die ihre Grundlagen ganz außerhalb der Medienregeln haben.

Nehmen wir eine beliebige Nachrichtenredaktion, die wohl am ehesten als Beauftragte in der Abbildung von Wirklichkeit missverstanden werden könnte: Da gibt es typische Formate, Frames, Kurzmeldungen etwa, Kommentare, Berichte, O-Töne, Bilder, Live-Schaltungen zu Korrespondenten usw. Da gibt es die ständige exakte Kontrolle der Einschaltquoten durch eine nachgeordntete Zuschauerforschung und präzise Zeitvorgaben. Welche Möglichkeiten stehen den Redakteuren nun zur Verfügung?

» Punkt 1: "Wovon es keine Bilder gibt, das findet im Fernsehen nicht statt."
Ja. Oft mit der Konsequenz, dass man etwa in einer Kriegssituation auch von Militärs vermittelte Bilder zeigt, obwohl diese äußerst zweifelhaft sind.
Zudem steht die Redaktion hier massiv unter Druck: 3 Minuten "redende Köpfe" und die Quote ist hin.

Punkt 2: "Die Auswahl manipuliert."

Das hier ist interessant. Wer bestimmt tatsächlich die Auswahl, wer setzt die Themen auf die Tagesordnung? Die Inhalte der Diskurse von der Uni-Cafeteria über die Kneipe bis zur Nachrichtenredaktion erweisen sich als diskursive Querschläger, die einmal durch die Gesellschaft bewegt werden, mit einer Hochkonjunktur, mit Vergessen, mit Verdrängung usw. Die Frage ist, wer diese Themen auf die Tagesordnung setzt.

Pakistan und Afghanistan waren nie Themen, die im medialen Interesse lagen. Da ich einmal einen pakistanischen Studenten hatte, es ist einige Jahre her, habe ich zufällig erfahren, dass es zu dieser Zeit nur eine Handvoll Bücher gab, die sich überhaupt mit diesem Land beschäftigten, dabei wenig Inhaltsvolles. Wer hat nun dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt? Die Anschläge vom 11.9. waren sicher ein Ansatz, aber auch die Auswertung der Ereignisse durch die westlichen Regierungen. Zugleich wurden ältere Diskurse reaktualisiert, etwa Huntingtons Clash of Cultures. Es war im Rahmen dieser Entwicklung wahrscheinlich nie eine Frage in der Nachrichtenredaktion, ob man über dieses Thema berichtet. Dennoch bleibt Platz für Formen medialer Kommunikation, für journalistische Überlegungen.

Logischerweise wird durch die Art der Berichterstattung ein gewisses Weltbild geformt.

Und tatsächlich gibt es nichtjournalistsiche Mächte, die die Berichterstattung formen. Du findest in den Redaktionen und Sendern nicht den archimedischen Punkt, von dem aus die Wirklichkeit konstituiert wird. Es ist eine Stelle mit einer gewissen eigenen Macht, die den Diskurs aufnimmt, in bestimmter Weise nach bestimmten Regeln verarbeitet und zurückliefert.

Das, was wir hier in Bezug auf die Irak-Krise nicht wissen, ist das, was tatsächlich passiert ist. Auf diesem Gebiet will wirklich jeder, der sich Gehör verschaffen kann, manipulieren. Und es wird gemacht. Von allen. Weil jeder der öffentlichen Teilnehmer eine Meinung hat, von deren Durchsetzung sehr viel abhängt.

Die schwierige Frage ist, ob es außerhalb der Wirklichkeitskonstitution durch Medien, Politik, gesellschaftliche Debatten und Gefühle eine Realität gibt, die erfassbar und darstellbar wäre. Natürlich wählt auch der Geheimdienstbericht für den amerikanischen Präsidenten aus, verzerrt die Darstellung Saddam Husseins die Realitätswahrnehmung der Bevölkerung, dennoch gibt es auch in einer solchen Diktatur geheime Gespräche, reale Eindrücke, reales Leid. Was ich darzustellen versuche: An keiner Stelle dieser Deabtte erscheint wie in einem Spiegelbild die Realität, es gibt vielmehr einen Regelapparat, der die Wahrnehmung dieser Wirklichkeit produziert und beeinflusst.

Natürlich gibt es verschiedene Parteien.

Und Komlizenschaften, politische Verbindungen, bereichsimmanente Regeln und Gegebenheiten. Der Begriff Manipulation unterstellt nur, dass es an irgendeiner Stelle dieses komplexen Systmes einen Punkt gibt, in dem die wahre Wirklichkeit zu Hause ist, und der ist eben immer schwerer auszumachen. Manche unterstellen, dass der US-Geheimdienst über dieses wahre Wissen verfüge, andere sehen verdeckte ökonomische Strategien am Werk, wieder andere setzen auf das Pferd Politik, andere machen in den Medien die wahre Quelle der Verzerrungen aus. Vielleicht gibt es tatsächlich noch unmittelbare Erfahrungen der Realität, etwa im Leiden der Kiregsflüchtlinge, aber auch diese sind nicht in der Lage, die Ereignisse treffender darzustellen, als die Menschen, die tausende Kilometer weit entfernt die legitime Interpretation der Welt unter sich ausmachen.

Wer hat das Recht zu reden in solchen machtrelevanten Debatten? Welche Regelwerke wirken auf die mediale Darstellung? Wie setzten sich die Geflechte der Macht durch die verschiedenen Instanzen fort, wie werden neue Themen und Positionen bestimmt? Solche Fragen scheinen mir hilfreicher als die Suche nach den Manipulatoren, die, im Besitz besserer Möglichkeiten die Darstellung der Welt verzerren, auch wenn es diese gibt.

Die Sache wird weniger gefährlich, wenn man sich dieser Umstände bewußt ist und sich fragt: Wer meldet? Was will er damit erreichen? Wem nützt das? Will ich das auch?

Ja, die gute alte Frage: Wem nützt das? hat immer noch aufklärerische Kraft, obwohl sie oft sehr schwer zu beantworten ist, anscheinend auch für die Politker, die so zielstrebig auf eine bestimmte Karte setzen.

Viele Grüße
Mathias Bigge