Sven Rautenberg: big@boss.com, oder Einstein hatte so recht.

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Moin!

Ich kann unmöglich auf deinen gesamten Beitrag nochmal umfassend antworten (im Großen und ganzen sind wir ungefähr auf einer Linie, würde ich meinen), aber einen Punkt will ich mir noch mal herausnehmen:

[...] bei Medien arbeitenden Menschen auch solche, die hinter der Wahrheit hinterher sind, aber primär sind zumindest deren Chefs hinter dem Geschäft her [...] Medienskandale [...] Es wird also immer manipuliert und eine Story so hingedreht, dass sie gut ins Bild passt - vollkommen unabhängig von den zugrundeliegenden Fakten.
Auch Nachrichten sind ein Geschäft, richtig, die Frage ist hier natürlich, welche Kriterien die Kunden an das Produkt anlegen und ob Wahrheit hier ein Kriterium ist. Viel schwieriger ist das Kriterium "Auswahl", aber das wäre ein eigenes Thema.
Was ich für problematisch halte, ist der Begriff "Manipulation", der unterstellt, als würde in den Medien die Wirklichkeit gezielt verfälscht, um bei den Zuschauern bestimmte Effekte zu erzielen.

So ist es aber - davon bin ich zumindest überzeugt. Wenn auch häufig mit den besten Absichten.

Punkt 1: "Wovon es keine Bilder gibt, das findet im Fernsehen nicht statt."

Fernsehen ist ein visuelles Medium. Nichts ist langweiliger als "kein Bild". Die Nachrichten haben immerhin noch einen Sprecher, der viele Informationen als Audio übermittelt - immer aber besteht der Zwang, irgendein Standbild im Hintergrund einzublenden. Gibt es kein Bild, gibts dann einfach mal eine Landkarte - meist kommt im Anschluß daran dann aber ein Bildbeitrag. Gerne werden auch Portraits der Personen genommen, über die berichtet wird. Vollkommen ohne Bild geht es nicht.

Die großen Nachrichten haben alle Bildbeiträge. Ergo: Gibt es von einer Nachricht keine Bildbeiträge, dann gibt es die Nachricht nicht, oder nur als kleine Meldung am Rande - egal wie wichtig sie sein mag.

Punkt 2: "Die Auswahl manipuliert."

Allein dadurch, dass die Redaktion aus tausenden von Nachrichten auswählen muss, um eine logischerweise begrenzte Sendezeit zu befüllen, fallen Dinge unter den Tisch. Sicherlich wird jeder Redakteur seine Auswahl nach ganz rationalen Gesichtspunkten begründen können - trotzdem wird es einen gewissen Leitsatz geben, der über allem steht und der definiert, welche Nachrichten gewünscht werden. Und die gewählten Nachrichten werden dann verbreitet - und zwar stündlich für fünf Minuten im Radio, und alle zwei Stunden für 10 bis 15 Minuten im Fernsehen. Dumm nur, dass immer dieselben Nachrichten vermeldet werden. Passiert in der Zwischenzeit nichts neues? Oder könnte man die abgelehnten Nachrichten nicht einfach in der zweiten Sendung bringen?

Logischerweise wird durch die Art der Berichterstattung ein gewisses Weltbild geformt. Dinge, die in Deutschland geschehen, sind wichtig. Fast genauso wichtig sind aber Dinge, die in Amerika geschehen. Beispielsweise die Story vom Scharfschützen in Washington. Interessiert in Deutschland eigentlich niemanden, weil die absolute Mehrheit der Bevölkerung nie in die Verlegenheit kommen wird, nach Washinton zu reisen. Außerdem: Der Mensch hat, so schlimm es auch ist, nur schätzungsweise 10 oder 20 Menschen getötet (genau erinnere ich mich nicht mehr). Das Risiko, persönlich von ihm getroffen zu werden, geht absolut gegen Null. Eher gewinnt man im Lotto. Trotzdem wurde die Geschichte breitgetreten. Weil sie an unser Mitgefühl appelliert, weil dort eine Tragödie ablief, eine unerbittliche, unaufhaltsame Macht Schicksal gespielt hat.

Die Geschehnisse in Afrika, Südamerika und Asien hingegen sind nahezu uninteressant.

Was weiß man typischerweise über asiatische Nachrichten? "Überschwemmungen in Bangladesh". "Grenzkonflikte zwischen Indien und Pakistan". "Nordkorea reaktiviert Atomprogramm". Und so weiter. Alles Nachrichten von internationalem Interesse - von Scharfschützen ist nicht die Rede, obwohl mit Sicherheit Morde in diesen Gebieten stattfinden.

Was findet in Südamerika statt? "Finanzkrise in Argentinien". Und das war's.

Und die Nachrichten aus Afrika? Irgendwo dort ist doch Krieg, oder? Überall dort? Und Hungersnot sicherlich auch. Die Amerikaner waren dort, ihr UN-Einsatz war aber ein ziemlicher Reinfall. Seitdem sie wieder weg sind, sind auch die Kameras wieder weg.

Unter dem Strich bleibt also festzuhalten: Durch die Auswahl der Nachrichten wird das Weltbild maßgeblich geprägt. Es gibt bekannte Orte, über die ständig berichtet wird, und es gibt unbekannte Orte, über die nicht berichtet wird. Das alles passiert deshalb, weil es am Tage davor auch schon so war - man kann unmöglich mit der Gewohnheit brechen.

Und all diese Nachrichten zeigen uns "ihre Seite" der Geschichte. Mit viel gutem Willen auch "die Wahrheit". Aber keinesfalls das, was wirklich passiert ist. "Die Wahrheit" ist einfach die Geschichte, die von der Mehrheit der Nachrichtenempfänger als "so war es" akzeptiert wird, weil sie prima in ihr Weltbild passt, weil die eigenen Erfahrungen die Geschichte als "so kann es tatsächlich wieder gewesen sein - es war ja schon einmal so" bestätigen.

Nehmen wir das Beispiel der Irak-Krise: Gibt es hier eine Wahrheit, die die Redaktion verschweigt, um die Menschen für die amerikanischen Kriegspläne zu begeistern?

Das, was wir hier in Bezug auf die Irak-Krise nicht wissen, ist das, was tatsächlich passiert ist. Auf diesem Gebiet will wirklich jeder, der sich Gehör verschaffen kann, manipulieren. Und es wird gemacht. Von allen. Weil jeder der öffentlichen Teilnehmer eine Meinung hat, von deren Durchsetzung sehr viel abhängt.

Natürlich gibt es verschiedene Parteien. Die einen wollen den Krieg gegen Saddam. Sie befürchten dessen unbekannte Waffenproduktion und wollen sich endlich eines Diktators entledigen, der schon zuviel Blödsinn veranstaltet hat.

Die anderen wollen keinen Krieg, weil sie sich der humanitären Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung bewußt sind, außerdem die eigenen Verluste fürchten, die mit der Absetzung/Verhaftung/Tötung des Diktators verbundene Instabilität der Region für unabsehbar halten, oder einfach grundsätzlich gegen Krieg als diplomatisches Mittel sind.

Du darfst dir außerdem beliebig viele weitere Interessengruppen dazudenken, die - mit anderen Argumenten - beliebig viele Zwischentöne der zwei dargestellten Meinungen vertreten.

Jeder dieser Gruppen will, dass das passiert, was _sie_ will, und das jeweils gegenteilige Szenario verhindern. Und das Mittel zur Erreichung ist die öffentliche Meinung. Kein verantwortlicher politischer Entscheider wird lange überleben, wenn er gegen die öffentliche Meinung handelt. Also muss die öffentliche Meinung im eigenen Sinne manipuliert werden.

Das unterstellt einen Komplott der Medienmacher und Politiker gegen die Masse der Zuschauer, um sie zu bestimmten Verhaltensweisen und Denkmustern zu bewegen, ohne dass die Manipulierten das durchschauen.

Kein Komplott. Die einen benutzen die anderen zur Erreichung ihrer Ziele. Das funktioniert deshalb gut, weil gewisse Politiker und gewisse Journalisten die gleiche Meinung vertreten. Also arbeiten sie zusammen. Manchmal initiiert vom Politiker, der den passenden Journalisten braucht, manchmal initiiert vom Journalisten, der für seine Meinung den passenden Politiker braucht, um O-Töne zu generieren.

Die andere Meinungs-Seite arbeitet natürlich genauso.

Daraus kann sich ein Meinungsgleichgewicht ergeben, welches gut ist. Sobald aber die gegnerische Meinung diskreditiert wird als "politisch unkorrekt", "anti-amerikanisch", "pro-terroristisch" etc., wird das Gleichgewicht gestört. So geschehen nach den Terroranschlägen von New York und Washington. Da mußte jeder auf der Linie von Präsident Bush sein, oder schweigen. Keinesfalls aber war Widerspruch geduldet, das galt nahezu als Verrat, derjenige war praktisch als Terrorist gebrandmarkt. Mittlerweile schwingt das Pendel aber zurück.

Wie man mit diesem Dilemma umgeht, ist seit Jahren ein Thema unter Medienleuten, es ist zu komplex die Problematik hier anzureißen.

Ganz sicher: Es gibt Medienleute, die sich ihrer Machtstellung in der Öffentlichkeit bewußt sind und überlegen, wie sie damit umgehen.

Es gibt aber auch Medienleute, die ihre Machtstellung ganz bewußt einsetzen, um Dinge zu erreichen.

Und es gibt Medienleute, die von anderen dazu benutzt werden, ihre ihnen selbst scheinbar noch unbewußte Machtstellung für die eigene Sache einzusetzen.

Es wird manipuliert! Wenn nicht von Journalisten selbst, dann von Interessengruppen, die Journalisten zu manipulieren versuchen. Und vermutlich häufiger, als wir glauben mögen, damit Erfolg haben. Weil es diffus und unterschwellig geschieht, so dass die Manipulierten es nicht merken.

Die Sache wird weniger gefährlich, wenn man sich dieser Umstände bewußt ist und sich fragt: Wer meldet? Was will er damit erreichen? Wem nützt das? Will ich das auch?

- Sven Rautenberg

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"Bei einer Geschichte gibt es immer vier Seiten: Deine Seite, ihre Seite, die Wahrheit und das, was wirklich passiert ist." (Rousseau)