Hi MudGuard,
Im Englischen kann ein Verb bis zu 4 Formen haben.
begin - begins - began - begun
Im Deutschen sind es wesentlich mehr - für jede der 6 "Personen" (ich - du - er,sie,es - wir - ihr - sie) und für jede Zeit...
Ein Substantiv hat im Englischen zwei Formen - Singular + Plural, im Deutschen können es wesentlich mehr sein, je nach Fall und Singular/Plural.
Im Englischen lautet der bestimmte Artikel "the".
Im Deutschen lautet er je nach Fall, Singular/Plural und Geschlecht "der", "des", "dem", "den", "die", "das".
Ähnliches für den unbestimmten Artikel - "a" oder "an" steht "ein", "eines", "einem", "einen", "eine", "einer" gegenüber.
Ähnliches für Adjektive, die im Deutschen an Fall und Geschlecht des Substantivs angepaßt werden, im Englischen nicht.
der "Schwierigkeitsgrad" einer Sprache hängt von sehr vielen Eigenschaften dieser Sprache ab - und zu einem sehr wesentlichen Teil von den bereits vorhandenen Kenntnissen desjenigen, der diese Sprache lernen will.
Für jemanden, der schon eine Sprache spricht, ist eine der wesentlichen Eigenschaften, ob er seine Denkweise beibehalten kann oder umlernen muß. Insofern ist für jemanden, der Deutsch spricht, Englisch verhältnismäßig einfach zu lernen (trotz der schrecklichen Paukerei bei unregelmäßigen Verben etc.), während Latein zu lernen erfordert, bestimmte neue Mechanismen zu akzeptieren (beispielsweise, daß einiges dort über Wortendungen erledigt wird, was in unserer Sprache eigene Worte erfordert, und daß der geänderte Satzbau eine "Umsortierung" der Gedanken erfordert).
Noch krasser ist das etwa bei einem Sprachwechsel von Deutsch nach Japanisch (weia - jetzt lehne ich mich mal aus dem Fenster ...): "Eigentlich" erscheint mir die japanische Sprache sehr viel einfacher und logischer aufgebaut (praktisch keine unregelmäßigen Verben, die Beugung von Substantiven ist viel einfacher, an vielen Stellen ist die Anordnung zusammenhängender Worte einer inhaltlichen Hierarchie unterworfen, etwa bei Orts- und Datumsangaben), aber andererseits müßten wir jedes einzelne Wort neu lernen, weil wir an keiner Stelle irgendwelche Wortstämme aus verwandten Sprachen verwenden könnten (kein Äquivalent zu den "Fremdworten", die zwischen den Sprachen westlicher Kulturen "wandern"). Zudem müßten wir uns an einen völlig anderen Satzbau gewöhnen, und außerdem kämen Elemente hinzu, für die es in unserer Sprache und Kultur (!) gar keine Äquivalente gibt - beispielsweise die "politeness level" (Verben werden unterschiedlich gebeugt, um unterschiedliche "Tonfälle" auszudrücken), oder die "Partikel" (Satzergänzungsworte zur Markierung bestimmter Kontextinformationen), oder die "geschlechtsspezifische Sprache" (etliche Worte werden jeweils nur von Männern bzw. nur von Frauen verwendet), oder die völlig andere Methode, Personen anzusprechen (es gibt beispielsweise kein Wort für "Schwester", weil man im Japanischen immer dazu sagen muß, ob man eine ältere oder eine jüngere Schwester meint). Wenn man mit all dem aufgewachsen wäre, dann würde einem die Problematik aus der Sicht eines Kulturfremden gar nicht bewußt werden ... tatsächlich ist es so krass, daß Dolmetscher zwischen Deutsch und Japanisch gar nicht wirklich übersetzen können, sondern sich (mindestens) einen kompletten Satz anhören und diesen dann in der jeweils anderen Sprache "nacherzählen".
Von den chinesischen Elementen innerhalb der japanischen Sprache und den mehreren Schriften, die im Japanischen in einer (sogar semantisch bedeutsamen) Mischform verwendet werden, will ich mal gar nicht reden (weil ich davon nur sehr wenig weiß) - aber bis japanische Kinder eine Zeitung lesen können, vergehen sehr viel mehr (Schul-)Jahre als bei uns. Dafür wiederum könnten sie auch eine chinesische Zeitung ansatzweise verstehen, ohne Chinesisch sprechen zu können ... Kanjis haben halt auch ihre Vorteile.
Esperanto ist ein (IMHO lobenswerter) Ansatz, die Menge aller Sprachelemente systematisch zu erfassen und für jedes von ihnen eine Lösung anzubieten, die den bekannten Problemen klassischer westlicher (!) Sprachen gerecht wird. Insbesondere verwendet Esperanto Wortstämme aus Sprachen, die uns mehr oder weniger geläufig sind, so daß _uns_ das Erlernen des Wortschatzes leicht fallen müßte.
Für einen Deutschen wäre Esperanto wahrscheinlich eine sehr einfache Sprache - aber für einen Asiaten?
Viele Grüße
Michael