Mathias Bigge: Schriftsprachlichkeit

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Hi O'Brien,

Kontakte zu Primarstufen-, Sonderschul- und Berufskolleg-Kehrkräften

"Kehrkräfte" ist gut *g*

jeder neue Prof
Das ist mir, ehrlich gesagt, auch eine zu starke Vereinfachung. Warum "jeder"? Die Leute sind doch sehr verschieden.
Du hast recht, hier habe ich zu stark verallgemeinert. Ich sollte einschränken auf "diejenigen Profs, die während meines Studiums an meinem Fachbereich neu eingestellt wurden und deren Entwicklung ich kenne".

Schade, ich hatte sehr unterschiedliche und viele engagierte Profs im Studium. Ich weiß nicht genau, welches Problem Du ansprichst, aber da ich lange als Mittelbauer an der Uni gearbeitet habe, kenne ich einige der Grundprobleme, etwa das absurde Missverhältnis zwischen Lehrkräften und Studentenzahl, etwa die zum Teil geringen Karrierechancen, das Sparen am falschen Ende, die Qualifikationslücken bei vielen Studienanfängern.

Er ist sogar jemand, der sich viel länger als andere eine blutige Nase geholt hat durch sein Engagement

Inwiefern?

Ich jedenfalls werde auch weiterhin intuitiv und nicht nicht nach auswendig gelernten Regeln meine Sätze bauen.

  1. Woher weißt Du, wie Du Deine Sätze baust?
    Dies beziehe ich in erster Linie auf die deutsche Sprache, denn Sprechen habe ich nicht in der Schule gelernt.

Waren wir nicht in einer DIskussion über das Fremdsprachenlernen? Wenn nicht, haben wir völlig aneinander vorbeigeredet.

Beim Englischen mag es sein, dass die Grammatikpaukerei ein wenig gebracht hat, obwohl ich auch hier annehme, dass eher die vielen Übungen zu bestimmten Satzkonstrukten etc. die Grammatik verinnerlichen und nicht die auswendig gelernten Regeln.

Die Regeln sind nur eine Hilfe, das ist schon richtig, wie sollte man sonst als Anfänger richtige Beispiele generieren oder bei Unklarheiten die richtige Form auswählen?

Auch das Lesen vieler englischer Bücher bringt mMn einiges.

Natürlich, das Wichtigste ist viel hören und sprechen, für Akademiker oder Fachleute, die hauptsächlich schriftlichkommunizieren, auch das Lesen.

"Lernen muss von Anfang an Spaß machen"
Hier sehe ich wieder das bereits oben angesprochene Problem der Extreme: entweder Unterricht macht Spaß oder nicht. Kann es denn keinen Mittelweg geben?

Es gibt viele Versuche, den Spaß am Lernen zu fördern, aber wer mit Erfolg studieren will, muss eben lange, einsame Stunden am Schreibtisch oder in der Biblitothek verbringen, alles andere ist nur Gerede. Mir macht das sogar Spaß und ich empfinde es immer wieder als Luxus, stundenlang herumschmökern und recherchieren zu können. Leider liegen hier aber noch einige Stapel Abschlussklausuren, auch Lehren ist mit Frust verbunden.

Da lob ich mir doch die asiatische Ideologie, wo der Schüler des Karatemeisters eine bittere Lehrzeit durchlaufen muss, bevor er lernt zu fliegen ;-)
Über japanische Köche habe ich gelesen, dass sie in ihrer Ausbildung erst einmal _sehr_ lange ihrem Meister zusehen, um sich die Handlungsabläufe zu verinnerlichen, bevor sie selbst Hand anlegen dürfen.

Die Haltung in Deutschland ist einfach oft verquer, einerseits gibt es eine richtungslose Respektlosigkeit, die nicht Nützliches fordert, andererseits eine ungheure Bequemlichkeit.

Ich versuche immer wieder, die Schüler zu verstehen, aber warum etwa lernen so viele Menschen in diesem herrlichen Land z.B. nicht vernünftig Deutsch, obwohl ihnen ihre verbale Unfähigkeit in allen Bereichen des Lebens Chancen verbaut? Warum geben sie sich damit zufrieden, dass sie nicht vernünftig die Prozentrechnung beherrschen oder an einem simplen Dreisatz scheitern?

Fast jeder Schüler oder Student trägt heute für ein paar hundert Euro Klamotten und Klimbim mit sich herum, vom Asipack und Foto-Handy über mp3-Player bis zum Markenschuh. Seltsamerweise besteht aber oft nicht das leiseste Gefühl dafür, dass man etwas leisten muss, wenn man diesen Krempel auch in zehn Jahren noch besitzen will...

Ein Letztes noch, damit wir uns zumindest diesbezüglich richtig verstehen: Ich bin der festen Überzeugung, dass nahezu alle "Junglehrer" mit viel Engagement und Elan an die Arbeit gehen und neue Methoden anwenden. Ebenso bin ich (basierend auf Erfahrungsberichten von Lehrkräften) davon überzeugt, dass das Engagement oftmals durch ältere Vorgesetzte und Kollegen

Ich unterbreche mal kurz, da ich zu dieser Gruppe gehöre.

(mit "älter" meine ich quasi "kurz vor der Rente") und durch Verwaltungsvorschriften und das Hü und Hott der jeweiligen (Landes-)Regierungen, teilweise sicher auch durch die Schüler und deren Eltern ausgebremst wird, was früher oder später zu Resignation führen muss.

Wenn der Mechanismus mal so einfach wäre. Zum Teil liegen die Probleme einfach nicht innerhalb des Systems Schule, sollen aber dennoch von dort aus gelöst werden. In den letzten Tagen ging mal wieder ein Rauschen durch den Blätterwald wegen dieser drastisch gescheiterten Berliner Hauptschule. Gleich gibt's auch gute Gegenbeispiele, die eine vergleichbare Lage perfekt im Griff haben, meist durch amerikanische Methoden.

Die Wahrheit ist, dass die Zustände in zahlreichen Hauptschulen und Gesamtschulen skandalös sind, dass die Schüler die zehn Jahre durchlaufen, ohne eine nennenswerte Qualifikation zu erwerben und dass diese Schüler von den Unternehmen nicht mehr für fähig gehalten werden, für die simpelsten Tätigkeiten ausgebildet zu werden. Viele Hauptschüler können kaum richtig Deutsch, es fehlen ihnen die elementarsten Grundlagen in den Fächern Mathematik, Englisch und Geschichte und kaum einer von ihnen hätte, die geringste Chance, einen Einstellungstest, wie sie die großen Firmen durchführen, zu bestehen.

Diese Tatsache ist bekannt, aber nur im Falle von öffentlicher Peinlichkeit wird darüber gesprochen. Unsere Schule hat weit über 3000 Schüler und das Kollegium versucht wirklich, etwas Gutes anzubieten. Was meinst Du, wieviel Sozialarbeiter wir haben? Was meinst Du, welche systematische Unterstützung für Schüler mit harten Problemen außer dem, was die Lehrer leisten, es gibt? Was meinst Du, wie viele Schüler wir für die Arbeitslosigkeit ausbilden?

Auch die Migrationsprobleme werden nicht systematisch angegangen, häufig sind die Mittel völlig ungeeignet, zumindest aber viel zu gering. Statistisch haben wir ja auch kaum über 10 Prozent Migranten, weil natürlich viele Schüler einen deutschen Pass haben. Da sieht die Politik vielleicht gar keinen Handlungsbedarf. De facto dürfte der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund bei 40% liegen...

Dazu bin ich der Meinung, dass der Berufsstand der Lehrer in unserem Lande viel zu schlecht angesehen ist und Bildung einen viel zu niedrigen Stellenwert hat. Und wieder einmal habe ich für diese Probleme keine Patentlösung. Schade.

Ja. Wir werden den Preis für diese Missstände bezahlen, da bin ich mir sicher. Heute noch habe ich einen der lieben wirtschaftsliberalen Profs im Radio gehört, der relativ offen einen Billigsektor für die Minderqualifizierten in diesem Land forderte. Dass das Folgen haben dürfte, wenn die dritte Welt für uns nicht mehr in der Sahelzone beginnt, sondern in unseren Vorstädten, davor werden die Augen fest verschlossen...

Viele Grüße
Mathias Bigge