Lieber Martin,
ich fürchte, Du hast meine Reaktionen zum Teil missverstanden. Als Musikpädagoge bin ich an einer differenzierten Auseinandersetzung mit Musik im allgemeinen und mit einer etwas intensiveren Beschäftigung mit einem Werk im spezielleren interessiert. Pauschale Aussagen, die sich irgendwie auf alle Stücke (oder eben keines) anwenden lassen, sind mir ein Graus. Das klingt dann so wie "Durchschnittstemperatur in Japan: 13 Grad Celsius". Das ist Quatsch, da es in den verschiedenen Jahreszeiten selbstverständlich starke Abweichungen davon gibt, und weil Japans Fläche sich über verschiedene Klimazonen erstreckt, Teile in gemäßigten Zonen, und Teile in subtropischen (bin aber kein Geograph, kann mich in diesen Details also irren). Vor diesem Hintergrund "weiß" ein Schüler über Japan so ziemlich garnichts, wenn er diese Aussage nach seinen Nachforschungen trifft, nur weil er sie irgendwo gefunden hat.
Klar, was ich meine?
Warum "muss"? Was ist Dein Ziel?
was ist das für eine Frage? In meiner Schulzeit (Abi 1988) war es üblich, dass der Lehrer ein Thema für Referate oder ähnliche, für die Schüler lästige Aufgaben vorgegeben hat. Unter dem Aspekt ist "ich muss ..." für mich absolut nachvollziehbar.
Mich hätten die näheren Umstände interessiert. In BW müssen Schüler einmal im Jahr eine sogenannte GFS ableisten. Diese kann auch in Referatform gehalten werden. Andere Referate könnten auch als Strafarbeit verabreicht werden... Und hier wollte ich näheres zum Grund hinter dem Referat wissen.
Das Ziel des Schülers wäre dann, ein paar Fakten und Meinungen zusammenzutragen und so aufzubereiten und vorzutragen, "dass der Lehrer das gut findet".
*Seufz* Nein, der Schüler sollte dabei etwas lernen. Viele Abiturienten wissen ja bis nach dem Abi noch nicht, wie man ein Referat sinnvoll aufbaut, geschweige denn, wie man das Thema inhaltlich auf die kurze Zeit des Referats herunterbricht, welche Details man auswählt, und welche man dem Publikum besser vorenthält. Wenn ich mir den OP durchlese, dann kann ich mir nicht sicher sein, ob der OP was vom Referatehalten bisher kapiert und gelernt hat. Schon allein die Art und Weise wie er nachfragt, lässt mich da erheblich zweifeln.
Motiv: dunkel
Ich kenne das Musikstück nicht, um das es hier geht. Aber ist es nicht auch erwünscht, dass der Schüler sich Gedanken macht, wie ein Stück (Musik, Literatur, Gedicht) auf ihn/sie wirkt?
Ich gehe jetzt von meiner Meinung als Musikpädagoge am Gymnasium aus. An anderen Schularten und vor allem bei anderen Musikpädagog(inn)en mag das anders sein.
Der persönliche Eindruck kann bei mir nur als entweder Fazit oder Einleitung von Interesse sein, denn das Musikstück wirkt nicht auf jeden Hörer gleichermaßen. Von daher ist es für mich höchst problematisch mit Wertungen zu kommen, wenn man ein Musikstück einer Zuhörerschaft in einem Referat näher bringen will. Es ist eher sinnvoll, ein Feedback der Zuhörerschaft einzuholen, nachdem man ein Hörbeispiel gebracht hat, als ihnen eine eigene Meinung/Ansicht vorzugeben, die sie dann (womöglich noch ohne das Teil gehört zu haben) brav aufnehmen, um sie dann bitteschön glauben zu müssen (denn der Vortragende hat ja wohl Recht).
Der persönliche Eindruck? Dann würde ich die Charaktereigenschaft "dunkel" oder "düster" durchaus für einen interessanten Ausgangspunkt halten, den man weiter ausarbeiten kann
Und was soll dann der Fachausdruck "Motiv"? Ein Motiv in der Musik ist etwas anderes als ein Motiv in der Kriminalistik. In der Musik verstehen wir unter einem Motiv eine kleinste Einheit eines Musikalischen Gedankens (also ein paar wenige Töne in markanten Tonabständen und in einer markanten Rhythmik - um es ganz kurz zu sagen). Wie kann das Motiv "düster" sein, wenn das Sacre doch etwa eine dreiviertel Stunde dauert und dabei nur so von Motiven wimmelt? "Das" Motiv gibt es dort nicht, sondern sehr viele. Selbst das Anfangsmotiv im Fagott kann nicht stellvertretend für alle restlichen Motive des Stücks herangezogen werden!
(wie gesagt, rein hypothetisch, ohne das fragliche Musikstück selbst zu kennen).
Ja - schon klar. Deshalb sind Deine Einwände hier nicht von der gewohnten Qualität, da Du Dich fachlich hier anscheinend etwas schwerer tust, als in den üblichen Themengebieten. Aber das mache ich Dir jetzt auch überhaupt nicht zum Vorwurf.
Dynamik: laut und hart
Das ist so absolut formuliert kompletter Quatsch.Auch das mag persönlicher ein Eindruck sein. Warum also "kompletter Quatsch"?
Siehe das Beispiel zu Japans Durchschnittstemperatur. Le Sacre du Printemps geht ca. 45 Minuten. Dass die Dynamik auf der gesamten Strecke immer "laut und hart" sein soll ist eine Aussage derselben Qualität. Vollkommener Quatsch.
In meiner Schulzeit war es verpönt und nicht gern gesehen, wenn wir Schüler uns aus anderen Quellen mit Wissen und vor allem vorgefertigten Meinungen versorgt haben. Wir sollten uns unsere eigenen Gedanken machen. Ist das heute anders?
Wie kannst Du Dir völlig ohne Hintergrundinformationen überhaupt sinnvolle eigene Gedanken machen, wenn Du wesentliche Aspekte des Werkes nicht kennst? Gerade beim Sacre, das ein Ballett ist(!) existiert ja auch eine Handlung dazu (das ist bei Balletten so), die man sich nicht durch eigene-Gedanken-machen erschließen kann. Ebenso sollte man etwas zu der Zeit in Erfahrung bringen, in der das Stück entstanden ist, denn auch hier gibt es Aspekte, die man mit berücksichtigen muss, wenn man sich dann am Schluss der Nachforschungen seine eigenen Gedanken machen will.
Andere Quellen zu nutzen ist eine sehr sinnvolle Arbeitsweise, wenn man sich unbekannte Themengebiete erschließen will. Das mit den eigenen Gedanken ist ja schön und gut, jedoch kann man das erst dann auf eine sinnvolle Art und Weise tun, wenn man bereits genügend Einblick in das Themengebiet gewonnen hat - selbstverständlich _zuerst_ unter Zuhilfenahme anderer Quellen.
Und was unter Schülern verpönt ist, das interessiert mich doch nicht, der ich etwas wissen will, und es mir eben anlese. Was unter Lehrern verpönt ist, das ist tatsächlich das undifferenzierte Nachplappern von Meinungen anderer - wie eben obige Generalaussagen wie "Dynamik laut und hart". Hier zeigt sich nämlich, dass ein Schüler eben nix kapiert hat und sich es auch nicht wert war, in die Materie "einzuarbeiten", sprich: sich anhand weiterer Quellen zu belesen.
Speziell beim Sacre ist es unerlässlich, dass man sich ersteinmal bewusst macht, was hinter diesem Werk an Inhalten steckt, um sich dann mit dem Aspekt "neue Musik" zu beschäftigen. Sicherlich ist die Publikumsreaktion bei der Uraufführung lesenswert, denn Musik wird nicht nur gemacht, sondern auch von anderen gehört. Wenn das Sacre heute als Meilenstein in der Musikgeschichte gilt, dann darf man mal ganz naiv fragen, warum dem so ist. Und dass es das bei der Uraufführung noch nicht war, ist auch eine Nachfrage wert. Und wenn man das alles hat, dann darf man in den Noten nach Stellen suchen, die zu diesen Reaktionen geführt haben. Aber speziell diese letzte Aufgabe ist eine große Herausforderung an Schüler, die musikalisch wenige bis keine Neigungen haben und sich mit einer Partitur extrem schwer tun.
Dem OP kann ich nur empfehlen, sich meinen ersten Link auszudrucken (nur die relevanten Seiten!), um eben gerade nicht über die Partitur, sondern über "das Drumherum" sich in das Thema einzulesen. Später kann er wesentlich treffendere Aussagen zu der Idee des Stücks machen, unterstützt von Zitaten Stravinskys, der in der verlinkten Quelle selbst über seinen Schaffensprozess schreibt. Ob dann eine differenzierte Notenanalyse überhhaupt noch sinnvoll/wünschenswert/notwendig ist, das hängt dann vom Umfang (also Dauer) und von der Zielsetzung ("Leitfrage") des Referats ab.
Hoffentlich konnte ich Dir meine (gymnasiale) Erwartungshaltung an ein Schülerreferat einigermaßen in ihren Grundzügen erläutern. Selbstverständlich mache ich in den verschiedenen Klassenstufen Abstriche, was die Tiefe und Gründlichkeit angeht (Siebtklässler können nicht dasselbe leisten wie Elftklässler oder gar Abiturienten), jedoch muss ich im Kern auf der Arbeitsweise bestehen, damit die am Gymnasium angestrebte universitäre Arbeitsweise antrainiert und vermittelt werden kann. Inwieweit das jetzt für den OP nützlich ist, muss er selbst für sich entscheiden. Wertvolle Materialien hat er ja jetzt.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.
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