Hallo Martin,
Um die Faszination von Kunst zu vermitteln, ist das "erleben" dieser Kunst, durch Ansehen, Anhören, etc. aber auch das Praktizieren der Kunst sicher wichtiger, als geschichtliches oder theoretisches Wissen.
Gerade die im Musikunterricht besprochene Musik ist vielen Schülern ja nur sehr schwer zugänglich, selbst einmal an der Aufführung eines solchen Werkes mitzuwirken o.ä. bewirkt da sicher mehr.
Aber natürlich kann man sich mit Kunst auch wissenschaftlich, in erster Linie analytisch, auseinandersetzen und es gibt auch eine Berechtigung dafür. Der Gymnasialunterricht ist vor allem an diesem wissenschaftlich, analytischen orientiert. Besonders ausgeprägt ist das meines Erachtens im Fach Deutsch, wo es manchmal durchaus eine Herausforderung sein kann, sich sein Interesse an Literatur zu bewahren. Aber auch der Musikunterricht ist meist nicht geeignet, ein Interesse an der besprochenen Musik erstmal zu wecken. Am ehesten klappt das wahrscheinlich noch im Kunstunterricht, da wird immerhin fast ständig praktisch gearbeitet.
Generell halte ich auch für die analytische Auseinandersetzung mit einem Werk irgendwelche vorgefertigten Meinungen nicht für besonders hilfreich. Man sollte sich schon unvoreingenommen mit etwas auseinandersetzen und das Stück hören und evtl. die Partitur ansehen können, wobei das natürlich voraussetzt, dass man halbwegs Noten lesen kann. Zusätzliches Wissen über den Hintergrund zum Stück, zur Biographie des Komponisten, zur Zeit und den Kompositionstechniken ist dann sicher auch hilfreich. Aber fertige Interpretationen zu recherchieren und seine Meinung daraus zusammenzubauen, fördert nicht gerade die eigene Auseinandersetzung damit. In diesem Punkt würde ich Dir zustimmen.
Wenn es darum geht, eine Interpretation zu schreiben, ein Stück zu analysieren etc., sollte das daher meiner Meinung nach auch nicht fordern.
Ein Referat soll aber natürlich ein Thema etwas umfassender darstellen, dazu gehören dann natürlich auch "Literaturmeinungen".
Denn es ist völlig normal, dass der Schüler im Stoff noch nicht sattelfest ist, noch Wissenslücken hat. Dessen sind sich die meisten bewusst, daher also wieder diese typische Unsicherheit.
Wenn ich später im Studium ein Referat halten sollte, dann war das zu einem Thema, das mich persönlich interessiert und reizt, und bei dem ich auch in gewissem Maß schon solide Grundkenntnisse hatte.
Ja, genau das trifft auch meine Erfahrung mit Schulreferaten. Man bekommt ein Thema, über das man nicht fundiert Bescheid wissen kann, hat nur sehr oberflächliches Material (klar, das Referat soll ja auch nur oberflächlich sein), und auch die Vortragszeit ist nur auf Oberflächlichkeit ausgelegt. Diese Inhaltsleere soll man dann aber toll vortragen können.
Ich lehne diesen Widerspruch schon mal präventiv ab. ;-)
Und zwar deshalb, weil für mich die Verbindung von Kunst und analytischer Untersuchung ein Widerspruch in sich ist.
Das ist es sicher nicht und sie hat auch ihre Daseinsberechtigung. Aber sie taugt selten dazu, ein Interesse an der Kunst zu wecken.
Ein gewisses, theoretisches Wissen über den Aufbau eines Stücks kann aber schon beim Hören von Vorteil sein, einfach, weil man weiß, wo man hinhören muss. Spätestens beim musizieren, benötigt man es aber. Wichtiger ist aber auch hier sicher die praktische Hörerfahrung, es bringt einem herzlich wenig, es bringt einem herzlich wenig, die Definition bswp. von "Motiv" zu kennen, wenn man beim Hören beispielsweise einer Fuge Motive gar nicht wieder erkennt.
Doch, sicher. Auch als Kunstkonsument wird man es wahrnehmen, wenn in Chorgesang plötzlich ein paar Riffs einer E-Gitarre als Akzent auftauchen, oder ein Aquarell einzelne Elemente geometrischer Liniengrafiken zeigt, oder in einem Historienfilm eine Armbanduhr zu sehen ist. Solche Widersprüche oder Stilbrüche, ob gewollt oder nicht, fallen auf.
Ja, aber nicht ohne entsprechende Erfahrung mit der jeweiligen Kunstform, jedenfalls, wenn es nicht so drastisch ist, wie in deinen Beispielen. Das ist wohl eher intuitives Wissen und durch theoretisches lernen allein bekommt man das sicher nicht.
Wie gesagt, ich möchte da Kunst und Wissenschaft als Gegensätze voneinander trennen.
Es gibt Kunst und Kunstwissenschaft ;-) Schule fokussiert eben immer stark auf letzteres. Das halte ich zwar auch für falsch, das entzieht der Wissenschaft aber nicht jede rechtfertigung.
Übrigens ist das ja auch in anderen Fächern so, in den Sprachen konzentriert man sich auf Grammatik, in Mathematik auf rechnen, wahrscheinlich ist es in Mathe sogar am schlimmsten ;-)
Ja, und mehr möchte ich in einem Kunstwerk (Musik, Gemälde, Gedicht, usw.) gar nicht sehen, denn dann ist der eigentliche Reiz des Werkes futsch.
Manchmal kann einem Wissen darüber, unter welchen Lebensumständen ein Kunstwerk geschaffen wurde, einen neuen Blickwinkel darauf eröffnen. Der ist wahrscheinlich auch nicht besser, als der, den man vorher hatte, aber es ist eben eine weitere Erfahrung.
Nein, es ist für mich die Hauptsache, das Entscheidende! Denn das ist IMHO der Zweck von Kunstwerken: Dass sie von Menschen, auch von einer breiten, ungebildeten Öffentlichkeit wahrgenommen, nach Möglichkeit angenehm empfunden wird.
Naja, das Ziel des Unterrichts sollte es sein, die ungebildete Öffentlichkeit so zu verändern, dass sie die Kunstwerke plötzlich interessant findet. Nicht alles muss vielleicht gleich angenehm sein, selbst wenn man fordern will, dass Kunst immer auch etwas ästhetisches in sich tragen sollte, klingt "angenehm" etwas flach. ;-)
Mag sein - aber wie ich schon sagte: Ein Kunstwerk soll mich faszinieren. Wenn ich aber anfange, Hintergründe zu erforschen und das Werk nach wissenschaftlichen Aspekten zu analysieren, dann ist diese Faszination für immer zerstört. Schade drum.
Das geht mir eigentlich nicht so. Natürlich muss mich ein Werk erstmal faszinieren, damit ich mich damit befassen will. Wenn ich aber dann noch mehr darüber erfahren, ändert das vielleicht meine Sichtweise von manchem, aber das zerstört die Faszination nicht. Es kann höchstens sein, dass eine direkte, analytische Auseinandersetzung, die einem die Möglichkeit des ersten, ungestörten Eindrucks nimmt, eine solche Wirkung hat. Deswegen hab' ich im Deutschunterricht Bücher meist gleich komplett gelesen, auch wenn mancher Lehrer das nicht wünschte, weil er das Buch ja Kapitel für Kapitel besprechen wollte.
Ich konnte Dir meine Gründe dazu hoffentlich begreiflich machen. Du musst mir nicht zustimmen, was Deine private Meinung zum Umgang mit musischen Werken angeht, aber was das wissenschaftliche Arbeiten damit angeht, welches wir im Hinblick auf eine wissenschaftliche Berufslaufbahn unserer Abiturienten vermitteln müssen, kann ich Deine Haltung nicht allgemein gültig stehen lassen.
Die wenigsten werden wohl eine wissenschaftliche Laufbahn im Fach Musik ergreifen, wenn überhaupt in einem "künstlerischen" Fach, dann im Fach Deutsch. Wenn jemand tatsächlich Kunst oder Musik studiert, dann vermutlich mit einer praktischen Zielsetzung (oder mit dem Ziel Lehrer zu werden ;-). Die wissenschaftliche Arbeitsweise kann man für die Geisteswissenschaften auch in Geschichte, Gemeinschaftskunde etc. und für die Naturwissenschaften in Physik, Chemie usw. erlernen. Die "künstlerischen" Fächer sollten sich meiner Meinung darauf konzentrieren, ein Interesse an Kunst zu vermitteln. Wenn sie in diesem Punkt versagen, verlieren sie im Grunde ihre Existenzberechtigung. Recherchieren und Vortragen kann man an allem lernen, und den Quintenzirkel vergisst sowieso jeder wieder...
Grüße
Daniel