Felix Riesterer: Igor Stravinsky - Le Sacre du Printemps

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Lieber Martin,

danke für deine laaange Stellungnahme.

*g* ich fühlte mich wohl herausgefordert... ;-)

Okay, oder sie werden als normaler Bestandteil des Unterrichts vom Lehrer ab und zu eingefordert. In jedem Fall ist es aber für den typischen Schüler eine lästige Pflichtübung, die er nur widerwillig ableistet. Daher "muss".

Das ist mir auch klar. Aber ich muss deswegen die Schülerseitige Auffassung und Haltung nicht teilen, oder? Auch wenn ich kein Lehrer wäre, so ist doch die Haltung eines Erwachsenen hoffentlich vernunftspegrägter, sodass dieses "ich suche mal eben schnell was mögichst brauchbares zusammen und fertig" nicht nur von mir im Grunde abgelehnt werden sollte.

Der Regelfall ist das aber wohl eher nicht.

Als Lehrer muss ich diesen Regelfall erdulden und gleichzeitig immer die Hoffnung auf den Idealfall hochhalten. Dafür werde ich nicht nur bezahlt, sondern diese Haltung ermöglicht es mir überhaupt erst, meine Arbeit auf sinnvolle Art zu erledigen.

Viele Abiturienten wissen ja bis nach dem Abi noch nicht, wie man ein Referat sinnvoll aufbaut, geschweige denn, wie man das Thema inhaltlich auf die kurze Zeit des Referats herunterbricht, welche Details man auswählt, und welche man dem Publikum besser vorenthält.

Das ist ein Grundproblem, sicher kein fachspezifisches.

Leider ist dem tatsächlich so. Daher habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, solche "Referate" (ich sprach ja von GFS im allgemeineren) zum Anlass zu nehmen, den betroffenen Schülern auch bei der Strukturierung und inhaltlichen Gliederung zu helfen, damit sie eben diese Aufbereitung zumindest beispielhaft einmal durchexerziert haben. Ob sie dann dabei etwas gelernt haben, muss ich wieder ihnen selbst überlassen. Auch zwinge ich meine Hilfe nicht auf. Wenn ein Schülerchen meint, mich in der Vorbereitung nicht zu benötigen, sondern alles am Vorabend mit Hilfe der Wikipedia und Fan-Seiten zu seiner Lieblingsgruppe alleine bewältigen zu können, dann bitteschön. Solche Referate hatten bei mir selten ein Ergebnis besser als vier.

Ein Thema für Publikum aufzubereiten und vorzutragen habe ich auch erst während des Studiums ansatzweise gelernt, und erst im Beruf so, dass man das Ergebnsi als "brauchbar" bezeichnen mag. In der Schule war es für mich auch ein Graus, vorne zu stehen und der Klasse irgendwas vorzutragen; entsprechend unbeholfen und unausgereift war's dann auch. Aber ich glaube, das ist üblich so.

Üblich = gut? Ich wehre mich dagegen, dass nur weil es so üblich ist, man dieses deshalb auch gutheißen soll.

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, könnte es auch daran liegen, dass man die Kunst des Referatehaltens nie wirklich gelernt bzw. gelehrt hat. Das ist bei uns damals auch sehr stiefmütterlich gelehrt worden, wenn überhaupt. Die Anleitungen in die Richtung beschränkten sich eigentlich auf die Frage des Ablesens vom Blatt vs. freies Vortragen. Und ohne eine etwas spezifischere Anleitung kann man auch nicht vom Schüler erwarten, dass etwas Sinnvolles dabei herauskommt.

Ja. Ich war auch einmal Schüler. Viele meiner damaligen Lehrer(innen) konnten sich in der Kritik an Referaten oft auch nur an Körperhaltung, freier Rede vs. Ablesen und - vor allem - dem lokalen Idiom (sprich: Dialekt) "aufgeilen". Wirklich inhaltliche Aufbereitung, welche inhaltlichen Schritte wann und in welcher Reihenfolge unternommen wurden, das viel unter den Tisch. Meine heutige Sicht ist der Verdacht, dass diese Damen und Herren das vielleicht selbst einigermaßen für sich selbst konnten, aber in der Vermittlung dieser Techniken weder eine Notwendigkeit, noch ihre eigene Fähigkeit sahen. Das können wir uns aber heute am Gymnasium in BW (eigentlich) nicht mehr leisten, denn unsere Abiturienten müssen eine sogenannte Präsentationsprüfung halten. Und da müssen sie's können - egal wann oder woher gelernt.

Der persönliche Eindruck kann bei mir nur als entweder Fazit oder Einleitung von Interesse sein, denn das Musikstück wirkt nicht auf jeden Hörer gleichermaßen.

Eben deshalb wäre es für mich der Kernpunkt.

Ja, so denkt der Laie. Im Falle von Musik muss ich Dir da widersprechen. Ich werde das nachher etwas ausweiten.

Man kann ein Gedicht zunächst nach formalen Aspekten analysieren, etwa Stropheneinteilung, Versmaß, Reimform; bei einem Musikstück kämen noch die Melodieführung und die Instrumentierung dazu. Und dann kommt man aber an die Aussage, die das Stück rüberbringen "will". Da treffen wir dann auf die etwas abgenutzte Phrase: "Was mag sich der Künstler dabei gedacht haben?"
Genau hier fängt aber die eigentliche Interpretation für mich an - und sie ist in hohem Maße subjektiv, weil Musik (noch mehr als Literatur) von jedem individuell anders aufgenommen wird. Man merkt es ja auch bei zeitgenössischer Musik: Was für den einen eine Rock-Ballade ist, empfindet der andere als aggressives Geschrei.

Das Spiel mit den Formen ist Dir bekannt? Dass man ein Werk nach gewissen (zeitgenössischen) Regeln entwirft, um an gewissen Stellen bewusst diese Regeln zu verletzen spielt in dieser rein subjektiven Wahrnehmung allerdings keine Rolle. Mir persönlich als Künstler (meine Ausbildung hat mich wohl zu sowas gemacht *g*) würde dann aber ein Detail fehlen, das ich sehr wohll genießen kann.

Wenn man z.B. weiß, dass zu Bachs Zeiten die Kirchenorgeln noch oft mitteltönig gestimmt waren (für den Laien: es klangen nicht alle Tonarten darauf "sauber", sondern teils schmerzhaft verstimmt), dann ist es sehr wertvoll, in den Passionen zu hören, wenn er solche aus der Stimmung der Instrumente stammenden Missklänge bewusst an den passenden Stellen verwendet. Das Leiden Christi mit "Wolfsquinten" sozusagen auch auf formaler instrumententechnischer Ebene umzusetzen, ist schon etwas, das man heute mit wohltemperierten (sprich: modern gestimmten) Instrumenten so nicht mehr hören kann. Wer sich da nicht intensiver mit der Materie befasst, dem entgeht dieses zumindest für mich) spannende Detail!

Es kann bei einem Referat nicht nur um den persönlichen Eindruck eines Werkes für den Referierenden gehen! Das wäre Kindergarten. Es muss gerade in einem Referat _auch_ darum gehen, was dem naiv hörenden Zuhörer ohne Vorbildung entgehen muss. Sonst würde ja das Referat beliebig, so nach dem Motto "ich erzähle Euch von meinem ersten Mal". Zumindest am Gymnasium erheben wir da doch auch den Anspruch, dass da etwas mehr wissenschaftlich gearbeitet wird, und da brauchen wir Hintergrundwissen, da benötigen wir "mehr" als nur einen persönlichen Eindruck/Meinung/"mir gefällt's (net)".

Und wenn Dich Ibsens Drama daran hindert, Griegs Schauspielmusik uneingeschränkt zu genießen, dann tut mir das leid. Ich zumindest kann das ausblenden, wenn es denn Not tut. Nur kann ich das nicht, wenn so eine bescheuerte Biermarke einen Eisvogel ins Wasser tauchen lässt, und dabei Solvejgs Lied abspielt - ein Sterbelied! - um den Slogan "aus dem Herzen der Natur" damit zu untermalen. Was bitteschön hat ein Sterbelied mit "aus dem Herzen der Natur" und diesem Hopfentee zu tun?!

Und was soll dann der Fachausdruck "Motiv"?
Ist es das, was mein Musiklehrer als "Thema" bezeichnet hätte?

Es ist ein Baustein, aus dem ein Thema gearbeitet sein kann.

Motiv: da-da-da-daaaaaa
Thema: da-da-da-daaaaaa - da-da-da-daaaaaa (Anfang Beethovens 5. Sinfonie)

Man vertrat damals offensichtlich den Standpunkt, dass ein künstlerisches Werk auch dann eine gewisse Aussage vermitteln müsse, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Ein Standpunkt, den ich eigentlich sehr vernünftig finde. Ein Autor oder Komponist, der eine Botschaft vermitteln möchte, hat sein Ziel verfehlt, wenn ich erst den Lebenslauf des Künstlers kennen muss, um diese Botschaft zu verstehen.

Jein. Für die rein private Rezeption an sich mag das ja genügen. Wenn man sich aber tiefer mit einem Werk auseinandersetzen will (was man sinnvollerweise für ein Referat tun sollte), dann ist die eigene Meinung nunmal nur ein kleiner Baustein in einem größeren Ganzen. Das Referat muss aber, um dem Stück gerecht zu werden, mehr Aspekte beleuchten, wenn es einem wissenschaftlichen Mindestanspruch (ich spreche wieder von der gymnasialen Warte aus) gereecht werden soll.

Kunstwerke sind im Grunde immer vielschichtig. Und diese Vielschichtigkeit erschließt sich nicht immer (wenn überhaupt) durch das reine selber-hören oder -lesen. Gerade oben angesprochenes Spiel mit den Formen, das bewusste Brechen mit Traditionen oder Regeln ist ja auch schon künstlerische Aussage. Diese in einem Referat nicht zu behandeln, ist aus meiner Sicht eine Vernachlässigung, die ich je nach Alter/Klassenstufe nicht tolerieren kann/will.

Teil 2 folgt - ich bin "wohl etwas geschwätzig"... ;-)