Der Martin: Igor Stravinsky - Le Sacre du Printemps

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Mahlzeit,

danke für deine laaange Stellungnahme.
*g* ich fühlte mich wohl herausgefordert... ;-)

es hätte mich auch enttäuscht, wenn nicht.

In jedem Fall ist es aber für den typischen Schüler eine lästige Pflichtübung, die er nur widerwillig ableistet. Daher "muss".
Das ist mir auch klar. Aber ich muss deswegen die Schülerseitige Auffassung und Haltung nicht teilen, oder?

Natürlich nicht, dann hättest du wohl den Beruf verfehlt. Aber du musst dir dieser schülertypischen Haltung bewusst sein, und ich wollte ja nur auf dieses aus Schülersicht lästige "Müssen" hinaus.

Ein Thema für Publikum aufzubereiten und vorzutragen habe ich auch erst während des Studiums ansatzweise gelernt, und erst im Beruf so, dass man das Ergebnsi als "brauchbar" bezeichnen mag. In der Schule war es für mich auch ein Graus, vorne zu stehen und der Klasse irgendwas vorzutragen; entsprechend unbeholfen und unausgereift war's dann auch. Aber ich glaube, das ist üblich so.
Üblich = gut?

Nein. Aber vor Publikum zu reden, ist ein Problem mit mindestens zwei Facetten.
Erstens muss man sich mit dem Thema befassen, über das man referiert, sich damit möglichst gut auskennen. Das kann man mit Fleiß, Recherchearbeit und Schweiß hinkriegen.
Zweitens muss man aber genug Selbstvertrauen haben und das "Lampenfieber" besiegen, das mehr oder weniger stark ausgeprägt wohl jeder hat. Das ist eine psychologische Komponente, die man nicht lernen, sondern höchstens trainieren und üben kann.
Wenn man aber im Thema an sich noch unsicher ist, sind die Hemmungen umso größer - und hier schließt sich der Teufelskreis für den Schüler. Denn es ist völlig normal, dass der Schüler im Stoff noch nicht sattelfest ist, noch Wissenslücken hat. Dessen sind sich die meisten bewusst, daher also wieder diese typische Unsicherheit.

Wenn ich später im Studium ein Referat halten sollte, dann war das zu einem Thema, das mich persönlich interessiert und reizt, und bei dem ich auch in gewissem Maß schon solide Grundkenntnisse hatte. Damit war die erwähnte Unsicherheit schon deutlich geringer, weil ich wusste, dass ich z.B. auch auf Zwischenfragen eingehen könnte. So wurde das Vortragen vor Publikum für mich mehr und mehr zur Normalität und hat allmählich seinen Schrecken verloren.
Jetzt im Beruf ist es soweit, dass ich sogar ab und zu betriebsinterne Schulungen abhalte, bei denen ich zwei Stunden oder einen halben Tag da stehe und Themen präsentiere, mit denen ich mich seit Jahren befasse. Das geht dann recht locker und ungezwungen.
Wenn jetzt aber jemand von mir verlangen würde, übermorgen einen Vortrag über, sagen wir, die Bedeutung der Fußball-Bundesliga für die deutsche Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg zu halten, dann hätte ich wieder Schwierigkeiten, weil mir eine Menge Grundwissen fehlt (und das Thema mich auch nicht interessiert).

Ich wehre mich dagegen, dass nur weil es so üblich ist, man dieses deshalb auch gutheißen soll.

Oh, das habe ich auch nicht gemeint. Man muss es nur akzeptieren. Gutheißen ist etwas anderes.

[...] denn das Musikstück wirkt nicht auf jeden Hörer gleichermaßen.
Eben deshalb wäre es für mich der Kernpunkt.
Ja, so denkt der Laie. Im Falle von Musik muss ich Dir da widersprechen.

Ich lehne diesen Widerspruch schon mal präventiv ab. ;-)
Und zwar deshalb, weil für mich die Verbindung von Kunst und analytischer Untersuchung ein Widerspruch in sich ist.

Das Spiel mit den Formen ist Dir bekannt? Dass man ein Werk nach gewissen (zeitgenössischen) Regeln entwirft, um an gewissen Stellen bewusst diese Regeln zu verletzen spielt in dieser rein subjektiven Wahrnehmung allerdings keine Rolle.

Doch, sicher. Auch als Kunstkonsument wird man es wahrnehmen, wenn in Chorgesang plötzlich ein paar Riffs einer E-Gitarre als Akzent auftauchen, oder ein Aquarell einzelne Elemente geometrischer Liniengrafiken zeigt, oder in einem Historienfilm eine Armbanduhr zu sehen ist. Solche Widersprüche oder Stilbrüche, ob gewollt oder nicht, fallen auf.

Es kann bei einem Referat nicht nur um den persönlichen Eindruck eines Werkes für den Referierenden gehen!

Solange es um den musischen Bereich, um künstlerische Werke geht, doch! Wie gesagt, ich möchte da Kunst und Wissenschaft als Gegensätze voneinander trennen.

Nur kann ich das nicht, wenn so eine bescheuerte Biermarke einen Eisvogel ins Wasser tauchen lässt, und dabei Solvejgs Lied abspielt - ein Sterbelied! - um den Slogan "aus dem Herzen der Natur" damit zu untermalen.

Sorry, ich glaube, du verwechselst da was: Die Hintergrundmusik ist AFAIR nicht Solvejgs Lied, sondern Morgendämmerung. Abgesehen davon stimme ich dir zu - manchmal bin ich auch entsetzt, wenn wieder einmal ein wundervolles Musikstück für die Werbung vergewaltigt wird; das erste Mal ist mir das in den frühen 80er Jahren mit dem ABBA-Hit "Move On" aufgefallen, der für eine Haarspray-Werbung missbraucht wurde.

Was bitteschön hat ein Sterbelied mit "aus dem Herzen der Natur" und diesem Hopfentee zu tun?!

Nichts. Aber die Morgendämmerung könnte ich mit dem Herzen der Natur schon eher in Einklang bringen. Ich find's trotzdem eine Entweihung.

Jein. Für die rein private Rezeption an sich mag das ja genügen.

Ja, und mehr möchte ich in einem Kunstwerk (Musik, Gemälde, Gedicht, usw.) gar nicht sehen, denn dann ist der eigentliche Reiz des Werkes futsch.

Wir hatten also gar nicht die *Möglichkeit*, uns aus anderen Quellen Informationen zu beschaffen, bzw. sollten dies bei einer Hausaufgabe möglichst auch bleiben lassen.
Und dann haben diejeningen, die sich doch externer Quellen bedient hatten, bessere Noten geschrieben. Stimmt's?

Nicht dass ich wüsste. Es wurde eher kritisiert, so nach dem Motto: "Das steht im Reclam-Leitfaden für die Interpretation aber nicht drin!" Wobei wir diese Begleitheftchen dann üblicherweise zusammen mit dem eigentlichen Buch von der Schule gestellt bekamen.

Ich meine auch einmal gelesen zu haben, dass eine Studie ergab, Schüler in der 8. oder 9. Klasse am Gymnasium nicht wesentlich dazulernten. Aber das nur am Rande...

Das glaube ich unbesehen!

Was ich damit sagen will: Ich bin der Meinung, dass es viel wichtiger und richtiger ist, wenn man sich bei einem künstlerischen Werk hauptsächlich davon leiten lässt, "wie empfinde ich das Werk?", "wie wirkt das Stück auf mich selbst?".
Das ist nur die eine Seite der Medaille. Wirklich nur die eine, also 50% höchstens!

Nein, es ist für mich die Hauptsache, das Entscheidende! Denn das ist IMHO der Zweck von Kunstwerken: Dass sie von Menschen, auch von einer breiten, ungebildeten Öffentlichkeit wahrgenommen, nach Möglichkeit angenehm empfunden wird.

Vergiss eines nicht: Musik wurde nicht immer zur Erbauung gemacht. Gerade "neue Musik" (ich sage jetzt mal pauschalisierend "um 1900") kehrt diesem Genussfaktor ganz bewusst den Rücken und will explizit nicht mehr gefallen. Warum dem so ist, kannst Du wohl kaum rein aus Dir selbst ergründen, oder?

Ich will es auch nicht. Das ist für mich eine Entartung der Kunst, die ich nicht mag und auch nicht gutheißen will.

Im wissenschaftlichen Bereich schließe ich mich dir in diesem Punkt vorbehaltlos an. Im musischen Bereich ist das aber IMHO ein Killer.
Nein, eine ebensolche Notwendigkeit. Um sich mit künstlerischen Werken ganzheitlich und vor allem wissenschaftlich auseinanderzusetzen, darfst Du nicht nur vom Rezipienten ausgehen. Das ist nicht nur einseitig, sondern einfach unvollständig!

Mag sein - aber wie ich schon sagte: Ein Kunstwerk soll mich faszinieren. Wenn ich aber anfange, Hintergründe zu erforschen und das Werk nach wissenschaftlichen Aspekten zu analysieren, dann ist diese Faszination für immer zerstört. Schade drum.

Mit der grundsätzlichen pädagogischen Methode, musische Werke zu vermitteln, bin ich ausdrücklich nicht einverstanden. Aber das ist jetzt kein Argument gegen dich, das ist ein allgemeiner Punkt.
Ich konnte Dir meine Gründe dazu hoffentlich begreiflich machen. Du musst mir nicht zustimmen, was Deine private Meinung zum Umgang mit musischen Werken angeht, aber was das wissenschaftliche Arbeiten damit angeht, welches wir im Hinblick auf eine wissenschaftliche Berufslaufbahn unserer Abiturienten vermitteln müssen, kann ich Deine Haltung nicht allgemein gültig stehen lassen.

Musst du auch nicht. Für mich bleiben aber Kunst und Wissenschaft dennoch Gegensätze, die einander zwar ergänzen, sich aber niemals vermischen können, weil eins das andere zerstört.

Schönen Sonntag noch,
 Martin

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Nicht jeder, der aus dem Rahmen fällt, war vorher im Bilde.