Hi O'Brien,
Wenn Du Frontalunnterricht mit Lehrervorträgen gleichsetzt, stimmt Deine Hypothese eher nicht, für typischer halte ich einen Mix aus lehrergesteuerten Gesprächen, Beispielaufgaben und Gruppenarbeit.
mit Frontalunterricht meinte ich den "umgangssprachlichen" Frontalunterricht: einer steht vorne und erzählt, die Unterrichteten müssen stillsitzen und zuhören, also quasi den Nürnberger Trichter ertragen.
Das halte ich eher für die Ausnahme, es geht auch in vielen Schulformen einfach nicht mehr.
Meine auf eigenen Erfahrungen (Vergangenheit) und Gesprächen mit aktiven Lehrern (Gegenwart) basierende Hypothese war ja, dass früher mehr Frontalunterricht gehalten wurde als heute, und die sehe ich bisher nicht widerlegt.
Das ist ja auch richtig.
Gruppenarbeit war bei uns jedenfalls noch ein Fremdwort, und auch die Beispielaufgaben beschränkten sich vielfach - nicht überall - auf die Hausaufgaben.
Gruppenarbeit und Methodenvielfalt werden in ihrer Auswirkung vielfach zu positiv eingeschätzt. Einige Kritikpunkte:
1. Gruppenarbeit mündet oft in schlechten Frontalunterricht, der von Schülern gehalten wird. Auch an Unis ist dies häufig als Studentenreferat zu genießen.
2. Bei arbeitsteiliger Gruppenarbeit werden die Ergebnisse der anderen Gruppen oft nicht genügend vermittelt bzw. von den Schülern nicht Ernst genommen.
3. Viele Methoden, die die Schüler "aktivieren", erzeugen rasenden Stillstand und hohle Betriebsamkeit.
4. Viele Probleme sind von den Schülern nicht wirklich selbständig zu erarbeiten.
Aber es gibt auch Vorteile. Gruppenarbeit und andere kreative Arbeitsformen entlasten vor allem in disziplinarischen Problemzonen den Lehrer, denn die Schüler stören dann einander, weniger den Pädagogen, der sich auf Gespräche mit Kleingruppen beschränken kann und lediglich Auswüchse und Katastrophen verhindern muss.
Und dann gibt es sie natürlich wirklich: gut geführte Lerngruppen, die selbständig arbeiten können und wollen, Lernumgebungen, die gutes Material zur Verfügung stellen. Projekte, die nach einer Vermittlung des Grundwissens wirklich zielorientiert aktiv werden. Natürlich erfordert das eine Menge Vorbereitung, entsprechende Räume, geeignete Arbeitsmittel.
Im Deutschunterricht könnte man ein Drama szenisch interpretieren, vielleicht sogar etwas auf die Bühne stellen, fachbezogene Erarbeitungen können im Internet präsentiert werden, Resultat einer HTML-Reihe könnte eine eigene Seite für jeden Schüler sein.
Ich erinnere mich selber gern an meinen Bio-Unterricht, in dem wir selber mikroskopieren oder die Natur der Umgebung erforschen konnten.
In der Grundschule gibt es seit vielen Jahren tolle Konzepte, die auch immer wieder neu entdeckt und umgesetzt werden. Wie müsste aber eine Schule aussehen, an der so etwas Standard ist? In der die Schüler Lust am Lernen haben und die Pauker Zeit, Arbeitsmittel und Unterstützung haben, um wieder wieder neue Projekte anzustoßen? Ich kann das hier nicht ausführen, aber Du kannst Dir sicher denken, dass das einige Voraussetzungen erfordert.
Eine Bekannte von mir hat mit einer Arbeit habilitiert, in der sie nachweist, dass die meisten Lehrer größtenteils den Lehrstil verwenden, den sie selber erfahren (oder auch erlitten) haben - unabhängig davon, was ihnen in der Lehererausbildung beigebracht wurde.
Interessant. Hoffentlich versuchen die Kollegen wenigstens, die jeweils besten Konzepte ihrer Vorgänger zu kopieren..
Dazu muss aber erst einmal das Interesse der Schüler geweckt werden, denn ohne Interesse ist der tollste Vortrag langweilig.
Hört sich gut an, ist vielleicht auch richtig, es steckt aber auch eine Illusion darin. Nehmen wir an, ein pubertierender Jugendlicher soll eine Fremdsprache erlernen. Nun gehören dazu aber eine Menge wenig lustvoller Lernphasen, etwa das Pauken von Vokabeln oder Grammatikregeln. Ob sich das wirklich rein aus Interesse und ohne Druck bewerkstelligen lässt?
Diese "Hohe Schule" sollte jemand, der die Basis für die Zukunft, das Leben seiner "Untergebenen" legt, jedoch auf alle Fälle beherrschen.
Die Basis für das eigene Leben legt letztlich jeder, zumindest ab einem bestimmten Alter, selbst, wer das nicht kapiert, hat nichts verstanden. Und wird die Schule nicht völlig überschätzt, wenn ihr das Grundproblem der Motivation in die Schuhe geschoben wird?
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Da sitzt nun jemand in der Schule und hat wirklich keine Lust mehr zu lernen, vielleicht stößt er auch an seine intellektuellen Grenzen, quält sich mühsam durch Texte und Mattearbeiten. Jetzt endlich kann er sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, träumt von einem halbwegs passablen Job, vielleicht einem Auto und später einer eigenen Bude. Nun sind die Noten aber nur durchschnittlich, es will einfach nicht klappen mit den Bewerbungen.
"Dann mach doch noch Deine Fachhochschulreife", schlägt die besorgte Mutter vor und Pappi merkt an, dass dann wenigstens das Kindergeld weiterfließt. "Du kannst ja noch nebenbei arbeiten, so 10 Stunden in der Woche, dann kannst Du Dir auch mal was gönnen, ein neues Handy, vielleicht sogar ein Auto."
Da sitzt er nun glücklich in der SEK II, versteht natürlich nicht das meiste, durch den Job ist er oft auch müde, aber ehrlich gesagt: Wie soll er Hausaufgaben machen, wenn er nach sechs Stunden Schule und zwei Stunden Regale einräumen um sechs nach Hause kommt? Na, wird schon gut gehen....
Nach zweimaligem Durchlauf durch die 11 geht's sogar weiter in die 12, aber nun ist wirklich Ende der Fahnenstange, mit 20 in der Schulbank, keine Kohle, die anmaßenden Pauker, die ihn überfordern, der reine Frust, er bewirbt sich sicher, aber nach der schrägen Schulkarriere und dem nun wirklich miesen Zeugnis, wer soll den da nehmen?
Am Ende muss der arme Kerl aus reiner Not sogar noch studieren...
Sprache lernt man nicht durch Auswendiglernen von Regeln, sondern durch Anwendung
der unbekannten Regeln *g*
... dass ich am meisten gelernt habe, wenn ich mit Feuereifer bei der Sache war, ob das nun das Anlegen eines Herbariums oder das Ausarbeiten eines Referats zu einem selbst gewählten Thema war.
Natürlich.
"Den größten Anteil von Frühpensionären macht laut DBB die Berufsgruppe der Lehrer aus. Dies liege an der hohen Belastung im Schulbereich und am hohen Durchschnittsalter der Lehrer. Aus psychischen Gründen würden viele Lehrer mit etwa 55 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden, so von Woikowsky."
Interessant, oder? Ich bin jetzt seit zwei Jahren wieder an der Schule, nach langen Jahren der Selbständigkeit. Es ist schwer, von außen zu einer realistischen Einschätzung der Lehrtätigkeit zu kommen, jeder hält sich hier für einen Experten und gießt seinen Frust und seine Glanzstunden gemischt mit Pressegerede in die Debatte.
Natürlich ist die Arbeit vielfältig und interessant, aber auch extrem bürokratisiert und belastend. Da kommt viel an in der Schule vom sozialen Frust, von der Lehrstellenknappheit, von Migrationsproblemen.
Ich rechne mich eher zu den Workoholics und bin überrascht, dass ich selber mit meiner Arbeitserfahrung und recht guter Organisation immer wieder in die Klemme gerate, alle Aufgaben genau und pünktlich zu erledigen. Zur Zeit liegen hier drei Deutscharbeiten der Oberstufe, jede 15 Zentimeter Papier, die ich bis zum Wochenende fertig haben wollte, zum letzten, versteht sich. Rechne mal so 30 Minuten Minimum pro Arbeit, dann sind allein die drei Stapel 36 Stunden Arbeit. Dazu kommen die Quartalsnoten für alle Schüler, mündlich und schriftlich, Konferenzen, Elternsprechtag, Beratungstage für neue Schüler, Fachgruppe Sprachförderunterricht, all das in Listen eintragen, selber diese Listen führen, ach ja, die die Prüfungsvorschläge bei der Bezirksregierung vorlegen, blaue Briefe mit Konferenz, Briefe an die Eltern schreiben und verschicken, Elterngespräche, man muss viele Fäden zusammenhalten.
"Unter den etwa 32 000 Berliner Lehrern gibt es immer mehr Dauerpatienten. Die Zahl der Pädagogen, die mehrere Monate im Jahr fehlen, ist nach Angaben der Schulverwaltung seit 2002 von 519 auf 681 Langzeiterkrankte Ende 2003 gestiegen."
Auch an unserer Schule halten nicht alle Kollegen der Belastung stand.
Bessere Zahlen habe ich nicht gefunden, und ich habe auch noch keinen Vergleich mit anderen Berufen angestellt, aber für erschreckend hoch halte ich die Zahl trotzdem. Dass sie allein durch die "bösen und dummen Schüler" bedingt ist, halte ich allerdings für ein Gerücht.
Richtig, aber reale Gründe gibt es und einen Bedarf nach Personalentwicklung, Supervision, Weiterbildung und Entlastung von bürokratischen Aufgaben, vor allem mehr Platz für die Auseinandersetzung mit den Schülern und fachliche und didaktische Weiterentwicklung.
Viele Grüße
Mathias Bigge