Hi Ludger,
Du verwendest zweimal in diesem Thread den Begriff "Loser". Was fügt der Begriff in Deinem Sinne dem deutschen Wort "Verlierer" an Bedeutung/Konnotaionen hinzu?
Da steckt gleich ein ganzes Konzept dahinter, vergleichbar wie beim Wort 'fair'.
Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich *g*
Ich weiß nicht genau, wie die Amerikaner mit diesem Begriff umgehen, aber in Deutschland steckt m.E. was Verächtliches darin, auch die Unterstellung, dass es Menschen gibt, die verlieren wollen und immer verlieren werden. Leute, die ein paar Mark verdienen und sie gleich in den Spielautomaten stecken, obwohl sie dann die Miete nicht bezahlen können, Leute, die sich ans Schachbrett setzen, um zu verlieren, und genau das suchen: immer neue Niederlagen. Den Schachvergleich benutze ich nicht zufällig: Meines Erachtens ist der Begriff über die Zockerszene nach Deutschland eingewandert, zumindest habe ich ihn da zum ersten Mal gehört.
Welche Menschen würdest Du als "Loser" bezeichnen?
Das sind z.B. Leute, die es nicht gebacken bekommen morgens regelmaessig aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, Alkoholiker, Obdachlose, Leute, die nichts mehr zustande bringen und vielleicht sogar noch die eigene Wuerde und Selbstachtung verloren haben.
Ja, solche Leute gibt es. Sind das Loser? Warum werden das immer mehr? Mit dem Begriff ordnet man den zufälligen Fallout unserer Gesellschaft den Betroffenen als persönliche Eigenschaft zu, macht sie zu natürlichen Verlierern, zu negativen Minusmenschen, denen nur durch Druck beizukommen ist.
Ein Beispiel: Als ich bei der Ruhrkohle-Ausbildung gearbeitet habe, gab es an jedem Gebäude einen Pförtner, meistens besetzt durch einen Invaliden, einen Arbeiter, der durch Krankheit oder Berufsunfall oder Altersprobleme in der normalen Produktion nicht mehr mithalten konnte. Und der Einsatz hat sich oft sogar gerechnet, etwa durch Handwerksarbeiten, die die Kollegen ausgeführt haben, durch Schönheitsreparaturen und die Verhinderung von Gebäudeschäden durch Einbruch und Vandalismus. Heute fliegen solche Leute raus, werden zu "Losern" abgestempelt, und viele werden nicht damit fertig, wenn sie nach 25 Jahren Arbeit auf der Straße sitzen, demnächst auf Sozialhilfe, so dass ihr Erspartes draufgeht, genau wie einer, der seinen Arsch in den gleichen Jahren nicht ein einziges Mal bewegt hat.
In Deutschland bekanntestes Beispiel: 'Al Bundy'
Die Serie "Al Bundy" heißt in den USA "married, two children" und nimmt den amerikanischen Durchschnittsbürger aufs Korn, nicht den Asozialen.
Du siehst, dass es mir nicht ganz gelungen ist zu beschreiben, was Loser sind, aber Du verstehst vielleicht, was ich meine.
Soziale Rollen werden systematisch produziert: Die Loser sind ein solches Produkt. Du feierst den Kapitalismus als erfolgreichste Form der gesellschaftlichen Organisation, aber das System produziert für immer weniger Menschen Bedingungen, die ihnen ermöglichen, ihr ganz persönliches Lebenskonzept zu entwickeln und etwas aufzubauen, jetzt sogar schon im reichen Europa.
Ich bin angesichts mangelnder Entwicklung ausgefeilterer Konzepte auch für den Markt, ein ungesteuerter, anarchischer Markt ist aber eine bloße Illusion und existiert nur in den Phantasien einiger Ökonomen, die unfähig sind, konkrete wirtschaftliche Probleme zu regulieren.
Tatsächlich beruht erfolgreiche Marktwirtschaft auf komplexen Steuerungsmechanismen. Markt ist nichts Naturgegebenes, sondern ein Konstrukt, dass immer wieder neu entwickelt, reguliert und dereguliert, gegen Kartelle und Absprachen und Korruption geschützt, durch entsprechende Infrastruktur gepflegt und unterstützt werden muss.
Die Frage ist also die nach den Parametern der Steuerung, nach politischen und gesellschaftlichen Zielvorgaben. Es gibt zahlreiche Gesetze, die unseren Markt vor Billigkonkurrenz schützen, oft durch verdeckte, manchmal durch altbekannte Systeme wie etwa die Subventionen für Landwirtschaft und diverse Industriebereiche in der EU.
Was spricht gegen Gesetze, die dem Schutz der Menschen vor negativen Auswirkungen technologischer und wirtschaftlicher Entwicklungen schützen. Der Parameter des Beschäftigungsgrades muss wiederhergestellt werden, auch im Interesse der Wirtschaft! Wertschöpfung geschieht nur da, wo Arbeitskraft investiert wird, gesellschaftliche Organisationen können für mich nur dann als erfolgreich eingestuft werden, wenn die Mehrheit der Menschen, um die es in diesem System geht die Möglichkeit haben, am Arbeitsprozess teilzunehmen, wenn sie das wollen.
Eigentlich bin ich äußerst skeptisch gegenüber staatlichen Versuchen, wirtschaftlich tätig zu werden, so wie jetzt mit dem zweiten Arbeitsmarkt nach Clement. Mir fällt es nur schwer, in das Lob des Marktes einzustimmen, wenn die Mehrzahl der Apologeten dieses Systems es als unabänderliche Voraussetzung ansehen, dass so viele Menschen deklassiert und zu Losern abgestempelt werden....
Wir produzieren "Loser", auf der ganzen Welt und zunehmend auch in Deutschland, Leute, die unser herrliches Ausbildungssystem durchlaufen und nicht richtig sprechen, lesen, schreiben und rechnen können, das finde ich nicht hinnehmbar. Deshalb würde ich doch lieber den Terminus "Arbeitslose" als "Loser" verwenden, weil darin immerhin noch ein kritischer Ton gegenüber den Verantwortlichen unterzubringen ist.
Viele Grüße
Mathias Bigge