Lieber Camping_RIDER,
zu vielen Deiner Argumente habe ich bereits Stellung bezogen. Daher picke ich hier nur noch ein paar heraus.
Wenn ich mich heute entscheide, alle Frauen, die mir begegnen, mit "Herr Soundso" anzusprechen, dann mache ich mich damit vielleicht nicht direkt beliebt, aber es ist völlig richtig und wichtig, dass der deutsche Gesetzgeber mich dafür nicht bestraft.
Das tut er, da Du den Straftatbestand der sexuellen Beleidigung erfüllst. IANAL, aber wenn mein Verhalten in einer öffentlichen Situation als vorsätzlich erkannt werden kann, dann habe ich ein rechtliches Problem an der Backe!
Oder in Kürze: Wenn ich keine Lust habe, mich politisch korrekt zu verhalten, hat niemand das Recht mich dafür zu verklagen, solange ich damit nur mich zum Affen mache, aber keine absolut roten Linien übertrete (Holocaust-Leugnung zum Beispiel).
Bei dem von Dir gewählten Beispiel ist das leider nicht der Fall.
Alle Versuche, Gender-Fragen zu solch roten Linien zu erheben, sind vollkommen überzogen und haben Potential, echten Werteverlust in unserer Gesellschaft nach sich zu ziehen -
Wo will ich denn die Diskussionen selbst verbieten? Ich weigere mich nur, einer Idee mein Einverständnis zu erteilen, von der ich belegen kann, dass sie auf irrtümlichen Annahmen beruht. Ob meine Belege anerkannt werden, ist wieder eine andere Frage. Hier im Forum offensichtlich nicht.
Jüdische Religionslehre existiert als mögliches Studienfach, obwohl nur etwa 100.000 Personen in Deutschland der jüdischen Religion angehören. Ich weiß nicht, wie viele Menschen in Deutschland leben, die sich non-binary fühlen, aber wenn jemand die Zahl 100.000 in den Raum werfen würde, ich würde sie nicht für unrealistisch halten.
Ab welcher Zahl ist es relevant? Die bisherige Diskussion stellt meinen Argumenten entgegen, dass die Zahl völlig irrelevant sei, da bedingungslos alle Menschen inkludiert werden sollen. Ist es bei Dir also doch eine Frage der Menge und damit der Verhältnismäßigkeit? Das stünde tatsächlich mehr auf meiner Seite.
Die Frage, ob es ein offiziell anerkanntes drittes Geschlecht geben sollte, ist überhaupt keine wissenschaftliche, und auch keine medizinische. Es ist eine rein politische und gesellschaftliche Frage, ob wir in der rein gesellschaftlich vorgenommenen Zuordnung zu einem Geschlecht auch eine bewusste nicht-Zuordnung zulassen wollen - und ich bin mir sicher, dass uns die gesellschaftlich überhaupt nichts kostet.
Hier ist die Begrifflichkeit wichtig! Im Englischen wird zwischen sex (Geschlecht, vor allem biologisches) und gender (ursprünglich rein grammatisches Geschlecht, neuerdings auch selbstgewählte Identität) unterschieden. Das sollten wir auch tun und nicht einfach unscharf "Geschlecht" zu allem sagen. Das könnte die Diskussion etwas entzerren.
Wenn das Hinzufügen eines dritten Geschlechts im Vergleich zur völligen Abschaffung der gesellschaftlichen Einordnung in Geschlechter einen Vorteil hat, dann den, dass damit auch für das dritte Geschlecht das Diskriminierungsverbot gilt. Und das ist, da sind wir uns hoffentlich einig, eine gute Sache.
Das Diskriminierungsverbot gilt. Nicht nur für gender-Unterschiede, sondern grundsätzlich. Wir müssen auch hier die Nomenklatur im richtigen Licht sehen: diskriminieren heißt wörtlich, dass man eine Unterschiedlichkeit berücksichtigt. Das ist mit Diskriminierungsverbot nicht gemeint, sondern eine Benachteiligung durch meist wahllos oder aus ideologischen Gründen gewählten Merkmalen. Aber in unserer Gesellschaft wird allerorten diskriminiert! Warum verdient ein Top-Manager so verflucht viel mehr, als alle seine Angestellten? Sag bitte nicht, dass das keine Diskriminierung sei! Irgendein Merkmal wird sich doch finden lassen, dass diese Ungleichbehandlung erklären lässt. Und dann haben wir ein philosophisches Problem mit unserer an sich guten Idee mit dem Diskriminierungsverbot. Beim Einkommen gilt es schon mal nicht...
Wir sind uns hoffentlich auch darüber einig, dass es trotzdem okay ist, sich non-binary in den Pass schreiben lassen zu können, wenn man das persönlich möchte.
Was darf ich mir denn noch alles in den Pass eintragen lassen? Wo ziehst Du denn da die Grenze? Ab wann wird es auch in Deinen Augen Unsinn? Das ist ja meine Frage! Was ist noch innerhalb der Verhältnismäßigkeit, und was nicht mehr?
Ich könnte ja anführen, dass ich aus religiösen Gründen nicht nur ein Nudelsieb in meinem Führerscheinfoto tragen muss, sondern auch mein Geburtsdatum in Tagen relativ zur ersten Sichtung des fliegenden Spaghetti-Monsters, da das Jahr 0 mit Christi Geburt festgelegt ist und es für mich dann eben eine Leugnung meiner Religionsfreiheit wäre, wenn mein Geburtsdatum nicht auf dieser Basis angegeben würde.
Wo ziehst Du die Grenze?
Die ganze Geschichte zum dritten Geschlecht ist eigentlich eine Sache zwischen Staat und Bürger gewesen - der Staat, der eine Zuordnung fordert, und der Bürger, der sich zuordnen soll – und das BVerfG, das zurecht sagt, dass eine solche Zuordnung nicht in den Kategorien männlich und weiblich stattfinden muss, d.h., dass auch eine bewusste nicht-Zuordnung des Bürgers in Ordnung geht.
Dann sollten wir dieses Datum völlig aus den Dokumenten entfernen. Notieren wir doch stattdessen den Namen des Wochentags, an dem die Geburt war. Oder sonstwas anderes - oder eben nix.
Wo ziehst Du die Grenze dessen, was Du noch als verhältnismäßig erachtest?
Und nur weil für den Staat im Umgang mit seinen Bürgern gewisse Regeln gelten folgt daraus nicht automatisch eine Ableitung von Regeln für den Umgang zwischen verschiedenen Bürgern untereinander.
Und nur weil sich jemand als Frau erklärt, bedeutet das noch lange nicht, dass ihm seine Physis nicht sein Verhalten massiv formt und lenkt. Und das liegt eben doch an männlich und weiblich. Tja, und hier entsteht die Problematik des Umgangs miteinander innerhalb der Gesellschaft. Ich stimme Dir insofern zu, dass "der Staat" mit seinen Bürgern anders verfährt und verfahren muss, als diese untereinander.
Liebe Grüße,
Felix Riesterer.